Hoffnungslos überdrallt

Allgemeines zum Thema Spinnen (Spinnfasertypen, geschichtliches, ...)

Moderator: Claudi

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Anna
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Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von Anna » 17.04.2016, 12:57

Liebe Spinnerinnen, ich habe ein Problem mit gekauftem Garn.
Als ich letztes Jahr in Peru war, habe ich in einer Weberei in Chinchero Alpaca-Lacegarn gekauft. Es war eigentlich nicht zum Verkauf bestimmt, ich habe es den Weberinnen abgeschwatzt. Möglicherweise war es noch gar nicht fertig verarbeitet, denn das Garn hat einen heftigen Überdrall.

Ich habe mehrere Maschenproben gestrickt, die alle fürchterlich aussahen. Zuletzt habe ich ein Netzmuster gestrickt, in der Hoffnung, dass das Garn die überschüssige Energie in den Löchern austobt. Das hat auch funktioniert, aber die Maschenprobe gefällt mir trotzdem nicht. Ich würde viel lieber ein anderes Muster stricken, aber wie bekomme ich den Überdrall aus dem Garn raus, ohne es zu vermurksen? Ich zeige mal ein Foto.

Bild

Man kann ja an den raushängenden Enden sehen, was das Garn eigentlich will: Nochmal in Z-Richtung zwirnen. Aber ich möchte nicht am Ende ein doppelt so dickes Garn haben. Meint ihr, ich soll es einfach nochmal einzeln durchs Rad laufen lassen? Das wäre dann in Spinnrichtung, also im Uhrzeigersinn, oder?
Ich wäre dankbar für jeden Tipp, ich will das Garn ja nicht ruinieren. Ich würde so gerne daraus ein schönes Tuch oder eine Weste stricken, genau in dieser Kombination, als Erinnerung an die schöne kleine Weberei in Chinchero.

Danke schon mal!
Grüße von Anna

ps. Auf Facebook habe ich eben den Tipp bekommen, etwas in kraus rechts zu stricken. Das wäre natürlich eine Option, es gibt ja massenhaft schöne Tuchmuster für zwei oder mehr Farben. Aber reicht das aus, um diesem Überdrall rauszubekommen?
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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von anjulele » 17.04.2016, 13:05

Ich würde versuchen, das Garn gegen die Spinnrichtung aufs Rad laufen zu lassen. Kannst du nicht erst ein bisschen auf der Spindel testen? Dann siehst du ja, wie es sich verhält. Du musst es ja nicht abschneiden.

Weben die denn dort mit solch überdrehten Drall? die peruanischen Webereien, die ich damals dort gesehen hatte, waren meist aus einem festen Zwirn. Aber da hatte ich erst kurz vorher mit dem Spinnen angefangen und noch nicht so´n Blick dafür.

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Anna
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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von Anna » 17.04.2016, 13:14

Ich habe in der Weberei einen Schal und eine Decke gekauft, beide aus sehr weicher Wolle, die bestimmt nicht derart überdrallt war.
Entweder war das Garn für Taschen oder Bänder gedacht, also für ein sehr festes Gewebe, oder es sollte nochmal gezwirnt werden. Das weiß ich nicht. Es lag lose im Korb herum und ich habe die Weberinnen überredet, mir die zwei Knäuel zu verkaufen.

Bild

Du schreibst jetzt, ich solle "gegen die Spinnrichtung" aufs Rad laufen lassen. Aber müsste es nicht eher gegen die Zwirnrichtung sein, also in die Spinnrichtung?

Grüße von Anna
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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von anjulele » 17.04.2016, 13:24

:wall: Ja, natürlich! Dein Garn ist ja schon gezwirnt!

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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von Anna » 17.04.2016, 13:37

Ich habe eben ein paar Meter mit der Spindel in Spinnrichtung gedreht.
Es funktioniert! Das Garn wird wesentlich weicher und geschmeidiger.
Vielen Dank für den Tipp, das ist also der richtige Weg. Dann werde ich gleich mal das Schnellspinnrad anwerfen. :gut:
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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von anjulele » 17.04.2016, 14:24

*Daumendrück*

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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von Basteline » 17.04.2016, 18:31

Ich wollte gerade auch ein HALT ausrufen, nicht in Zwirn-, sondern in Spinnrichtung kurz in Rad reinlaufen lassen, aber nicht zu viel.
Aber ihr habt es ja schon richtig gestellt.
Und dann das Garn wieder zu Stängen haspeln und ins Entspannungsbad geben.
Liebe Grüße
Basteline

.....und laßt uns spinnend die Welt umgarnen.

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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von Sephrenia » 17.04.2016, 20:20

In den Anden webt man übrigens tatsächlich mit sehr stark gezwirnten Garnen. Industriell hergestellte Garne werden oft von Hand nachgezwirnt, wenn damit gewebt werden soll. Wahrscheinlich hast du so behandelte Knäule gekauft. Aber auch die Eigenart, handgesponnene Garne als Single zu färben und danach erst zu verzwirnen könnte den starken aktiven Zwirndrall in deinem Garn erklären. In einem dichten Gewebe wirkt sich der Drall nicht aus, das Gewebe liegt trotzdem glatt, aber die Kette ist durch den starken Drall stabiler.

LG Kiki

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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von Asherra » 17.04.2016, 20:24

Das ist so für traditionelle Garne in der Gegend normal. Unter Spannung auf dem Webstuhl macht der Drall keinen Ärger und es werden sehr robuste, dichte, abriebfeste Gewebe daraus.

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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von Anna » 17.04.2016, 20:47

So, das schwarze Garn habe ich rückwärts gezwirnt und auch gleich abgehaspelt.
Die Wolle ist jetzt ausgewogen, der Strang hängt ganz glatt herunter. Das Garn ist weicher geworden und wirkt dicker.
Die Lauflänge habe ich auch feststellen können: ca. 870 Meter bei 210 Gramm Gewicht. Also kein Lace, obwohl es auf dem Knäuel so aussah. Ich habe die Maschenproben mit einer 3 mm-Nadel gestrickt, nun kann ich möglicherweise sogar auf 3,5 mm erhöhen.
Das Muster, das ich ursprünglich stricken wollte - ein Hebemaschenmuster - rückt wieder in den Bereich des Möglichen :D
Danke euch fürs Mitdenken! Morgen werde ich keine Zeit dazu haben, aber übermorgen gibt es hoffentlich ein Anstrickfoto.
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Re: Hoffnungslos überdrallt

Beitrag von Anna » 19.04.2016, 12:03

So, ich habe beide Knäuel nochmal durchs Spinnrad geschickt, dann gehaspelt, gewaschen und getrocknet.
Wie man sieht, kräuselt sich das schwarze Garn immer noch stark und fühlt sich härter an. Das blaue ist dagegen ganz gut entspannt und weich. Da habe ich nämlich etwas langsamer und geduldiger gearbeitet.
Der Überdrall war wirklich erheblich. Ich habe ein recht schnelles Rad (die Ella von Walther) und wirklich zentimeterweise das Garn auf die Spule laufen lassen. Beim schwarzen war ich immer noch etwas zu schnell. Ich glaube, ich lasse es zur Sicherheit noch ein zweites Mal durchlaufen. Das ist zwar eine ätzende Geduldsarbeit, aber man kann lesen dabei.
Für das Strickmuster, das ich gern mit der Wolle arbeiten möchte, lohnt es sich - wenn es klappt!

Bild

Edit, ein interessantes Phänomen: Obwohl ich beide Stränge auf der gleichen Haspel hatte, ist in hängendem Zustand der schwarze gut 20 cm kürzer als der blaue. Soviel Längenverlust macht der Überdrall aus!
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