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von w_ciossek » 18.03.2013, 01:20
Zufälligerweise spinne ich und baue auch alle meinen Spindeln selbst und ich bin Physiker. Aus diesem Grund kann ich formschone Spindeln mit optimalen Drehverhalten herstellen. Doch was empfinden wir subjektiv als gutes Drehverhalten? Für die meisten hat eine Spindel ein gutes Drehverhalten, wenn sich sich schnell, recht lange und ohne zu eiern sich sehr ruhig dreht, ohne daß der Schaft hierbei vibriert. Das Eiern kann durch eine Unwucht im Wirtel zustande kommen oder durch einen schiefen Schaft. Ein langes andauerndes Drehen kommt zustande, wenn die Spindel viel Schwung (ein großes Massenträgheitsmoment) hat. Doch der Name Massenträgheitsmoment sagt schon aus, daß durch die Trägheit der Spindel das Andrehen schwieriger wird, je größer dieses Massenträgheitsmoment ist, weil man mehr Kraft hierzu braucht um die Spindel in schnelle Rotation zu versetzen. Leider kann man Schnelligkeit und viel Schwung nicht unter einem Hut bringen. Doch man kann tricksen.
Nun, was ist das Massenträgheitsmoment und in wie weit hat es mit der Geometrie der Spindel zu tun? Ich will hier keine mathematischen Abhandlungen machen, da man zur mathematischen Definition des Massenträgheitsmoments Kenntnisse der höheren Mathematik (Analysis) haben muß. Trotzdem versuche ich mal in Worten das Massenträgheitsdmoment zu erklären. Es berechnet sich aus einer fast unendlichen Summe von Masseteilchen, die jeweils einen eigenen Abstand zur Drehachse haben. Dieser Abstand wird quadriert und mit der Masse des Massenteilchens multipliziert.
Da eine Spindel nahezu unendlich viele und unendlich kleine Masseteilchen besitzt, entstehen nahezu unendlich viele Produkte (Abstand*Abstand*Masse(teilchen)) die aufsummiert werden müssen. Das Ganze wird einfacher, wenn die Masse gleichmäßig verteilt ist, wie etwa im Holz, welches eine gleichmäßige Dichte hat. Dann spielt nur noch die Geometrie eine wesentliche Rolle. Für Handspindeln bedeutet das, daß tellerförmige Spindeln, oder Speichenräder optimales Schwungverhalten haben. Wenn der größte Teil der Masse am äußersten Rand ist, zum Beispiel durch einen Wulst ringförmig verteilt, dann wird der Schwung besonders groß. Wenn wir beispielsweise 4 Tellerspindeln haben, die scheibenförmig sind, wobei die Scheiben jeweils die gleiche Dicke haben, dann variiert das Massenträgheitsmoment nur noch durch den Radius der Scheibe. Nehmen wir an, die zweite Spindel hat den doppelten Radius wie die erste, die dritte Spindel den dreifachen Radius und die vierte den vierfachen Radius der ersten Spindel, so hat die zweite Spindel schon vier mal mehr, die dritte neun mal mehr und die vierte schon sechszehn mal mehr Schwung gegenüber der ersten Spindel. Das bedeutet, die zweite Spindel dreht sich vier mal länger, die dritte neunmal länger und die vierte Spindel sechszehn mal länger als die erste Spindel, sofern sie anfangs alle die gleiche Drehgeschwindigkeit haben.
Anfangs erwähnte ich, daß man durch einige Tricks Spindeln mit viel Schwung zur schnellen Rotation bringen kann. Dabei muß der Schaft sehr dünn sein. Wie ein kleines Zahnrad, welches von einen großen Zahnrad angetrieben wird, so dreht sich das kleine Zahnrad immer schneller, als das große Zahnrad, weil das kleine Zahnrad einen kleineren Umfang hat.
Handspindeln mit einen dicken Schaft lassen sich nur sehr schwer in schnelle Rotation versetzen, andrerseit brechen dünne Schäfte sehr leicht. Deswegen muß der Schaft möglichst aus einen sehr harten und elastischen Holz gefertigt werden. Bei unseren einheimischen Hölzern habe ich den Holunder ausmachen können, der das härteste und auch sehr elastisches Holz liefert, sofern es gut getrocknet ist, weil bei der Trocknung sich die Holzfasern sehr eng zusammenziehen. Zu diesem Zweck härte ich dieses Holz zusätzlich, indem ich es in Canaubawachs brate, welches das Holz auch gleich vor Feuchtigkeit schützt, und weil dieses Wachs tief in das Holz eindringt.
Wenn jemand mal russische oder französische Spindeln gesehen hat, mag entäuscht sein über deren Drehverhalten, weil sie sich nur sehr kurz drehen. Doch in Wirklichkeit drehen sie sich sehr schnell, so daß man mit ihnen doch noch gut spinnen kann. Sie haben so gut wie keinen Schwung - also ein sehr schlechtes oder nur ein sehr kleines Massenträgheitsmoment. Russische oder französische Spindeln sehen aus wie ein konischer Stab. Etwas mehr Schwung würde das Aufwickeln des Fadens beschleunigen.
Ich habe sie etwas optimiert, so daß man sie schnell und gleichzeitig lang andauernd (mit Schwung) drehen kann. Dabei wird die Masse stärker in den unteren Stabteil verteilt und der Schaft wesentlich dünner herausgearbeitet und mündet am Ende in eine dünne scharfe Spitze, die schnelles Andrehen ermöglicht. Den unteren Schafteil machte ich zwiebelförmig. Damit die Form in Richtung Tellerspindel geht, weil Tellerspindeln ein gutes Massenträgkheitsmoment haben, habe ich diese Zwiebeln möglichst flach herausgearbeitet.
Hier muß man man ein Mittelmaß finden, wo der Stab noch nicht so gleich bricht, aber trotzdem sehr schnell angedreht werden kann. Ältere Tellerspindeln waren optimaler gebaut, bis irgendjemand auf die dumme Idee kam, Haken einzuschrauben. Da muß man den Schaft wegen des Hakens breiter machen, was auf Kosten der Drehgeschwindigkeit geht. Noch schlimmer ist, daß man den Wirtel auch noch festklebt. Alte Tellerspindeln hatten sehr dünne nach beiden Enden hin konische Schäfte. Diese Spindeln waren universell. Sie konnten als Standspindeln, Kopf- und Fußspindeln eingesetzt werden und nach den Gebrauch schob man den Wirtel wieder ab und nahm den Schaft mit der Wolle als Schiffchen zum Weben. Eine solche Spindel mit abnehmbaren Wirtel kann sich in der Handtasche nicht verkeilen, so daß sie sicherer und leichter transportiert werden kann. Wenn man den Faden einmal um den Wirtel herum führt und einen Halbschlag am Schaft macht, sitzt die Spindel bombenfest, so daß ein Haken nicht nötig ist.
Bei den französischen Spindeln gibt es trotzdem einen genialen Haken am Ende des Schaftes, weil eine französische Spindel keinen Wirtel besitzt, wo meinen Faden zwecks Befestigung herumschlingen könnte. Der Haken besteht darin, daß im Schaft eine Nut schraubenförmig zur Schaftspitze hin sich windet. Das sieht aus wie ein Bohrer. Der Faden findet seinen Halt dadurch, daß er in der Nut sich an den Schaft presst, wenn ein Zug vorhanden ist. Es ist so, als würde sich eine Schlinge zuziehen. Es ist also kein montierter Haken. Doch diese Nut schränkt die Drehrichtung nur in eine Richtung ein. Manche diese Spindeln haben zwei Nuts, die einmal sich im Uhrzeigersinn und einmal im Gegenuhrzeigersinn sich zur Schaftspitze winden. Jedoch brechen diese Schaftspitzen sehr leicht. Schon eine einfache Nut macht die Schaftspitze etwas zerbrechlicher. Die Franzosen haben sich manchmal damit beholfen, daß die ganze Schaftspitze aus Metall gefertigt wird, wo eine schraubenförmige Nut hineinkommt. Doch Metalle färben die Wolle mit ihren Oxiden ein. Nimmt man elastisches Hartholz für diese Spindeln, so kann die Schaftspitze auch aus dem Spindelholz sein. Doch Nutspitze bleibt die Archillesferse dieser Spindel, so daß man deren Spitze vorsichtig behandeln muß.
Im Gebrauch erspart diese Nut viel Zeit, da man keinen Halbschlag machen muß. Einen richtigen Wirtel besitzt die französische Spindel sowieso nicht, so daß man den Faden auch nicht um einen Wirtel schlingt. Französische und russische Spindeln haben den Vorteil, daß der Schaft etwas dicker und konisch ist, als bei den Tellerspindeln, wodurch sie robuster sind. Es lassen sich sehr dünne Fäden damit spinnen. Doch Tellerspindeln alten Typus sind universal. Hier habe ich an den Schaftenden mir das Prinzip der französischen Spindeln zunutze gemacht, wo ich jeweils eine Nut angebracht habe, die beim einem Ende mit den Uhrzeigersinn sich zur Schaftspitze windet und am anderen Ende gegen den Uhrzeigersinn. Da man den Wirtel auf beide Schaftenden schieben kann, so kann man die Drehrichtung der Spindel ändern, was beim Zwirnen notwendig ist, weil man dann die Spindel entgegengesetzt drehen muß gegenüber der Drehrichtung beim Spinnen. Diese Spindel ersparen den den Halbschlag, als auch das Umführen des Fadens um den Wirtel.
Gruß Wolfgang