Spulen nach dem Lego-Prinzip

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borekd
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Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 16.03.2021, 08:47

Die wohl überwiegend vertretene Ansicht zu der benötigten Anzahl von Spulen zu einem Spinnrad lautet: Mindestens drei, gern mehr. Spulen sind also zwingend erforderliche Zubehörteile, die optimaler Weise in einer höheren Anzahl vorhanden sein sollten. M.E. kommt noch hinzu, dass eine Spule durch ihre Laufruhe und ihre Massenträgheit auch einen ziemlich starken Einfluss auf den Spinnprozess hat bzw. zumindest haben kann. Es gibt also genug Gründe, sich damit zu befassen.

In den Tiefen des hiesigen Bastelkellers schlummert irgendwo eine Anleitung zur Herstellung von Spulen durchs Drechseln „aus dem Vollen“.
01_Spule_traditionell.jpg
Die komplette Spule mit ihrem Kern, den beiden Spulenscheiben und dem Spulenwirtel wird also aus einem Stück (Rund-)Holz herausgearbeitet, gebohrt und ggf. mit Lederlagern versehen. Diese Technologie (obwohl sie eine Traditionelle zu sein scheint – an einigen historischen Spinnrädern, die bei uns wohnen, sind solche Spulen vorhanden) hat mich auf Anhieb wenig begeistert. Neben dem ungeheueren Holzverbrauch störte mich vor allem der ungünstige Verlauf der Holzfasern parallel zur Drehachse, der kaum Festigkeit verspricht. Das folgende Foto zeigt das leider typische Aussehen bzw. den typischen Zustand einer so hergestellten Spule nach einigen Jahren Lebenserfahrung.
02_alte Spule.JPG
Daher wählte ich einen gänzlich anderen Weg, der mich nach einigen Sackgassen und Umwegen zur folgenden Musterkonstruktion führte.
03_Prinzipskizze.jpg
Eine solche Spule besteht in ihrer Standardform aus vier Holzteilen, die nach dem Zuschnitt teils einzeln, teils im zusammengeklebtem Zustand in einer durch die Konstruktion teilweise zwingend vorgegebenen Reihenfolge bearbeitet werden. Diese Vorgehensweise (und – zugegeben – der damit verbundene Aufwand) dient dem Ziel, so gut wie unter Bastlerbedingungen möglich eine einwandfrei rund- wie planlaufende Spule herzustellen, die sich dazu optimal leichtgängig dreht ohne zu klappern. Konstruktiv wird dies durch die finale Bearbeitung von (fast) allen wesentlichen Flächen in derselben Einspannung sichergestellt, bezogen auf die Mantelfläche des Spulenkerns. Dies ist die sog. Referenzfläche, in der obigen Skizze durch ein „A“ bezeichnet. Lediglich die hintere Spulenscheibe wird von dem Rest getrennt gedreht, und erst zum Schluss angeklebt. Die Spulen werden komplett mit Hilfe einer Drehmaschine hergestellt, eine Drechselmaschine kann ich mir dafür aufgrund des relativ hohen Genauigkeitsanspruchs nicht vorstellen.

Hier sind die einzelnen Schritte (wie üblich, gilt fürs Nachmachen das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit):

Die Spulescheiben
werden z.B. mit einer Dekupiersäge ausgesägt, jeweils einzeln in das Dreibackenfutter (Außenbacken) gefühlvoll eingespannt und dabei durch ein sorgfältiges Andrücken gegen die Planflächen der Backen rechtwinklig ausgerichtet. Um das Zerquetschen des Holzes zu vermeiden, muss die Spannkraft deutlich geringer dosiert werden als bei Metallwerkstücken.
04_Spulenscheibe_bohren.jpg
Insbesondere bei Spulen für zweifädige Räder sollte man bei den Spulenscheiben auf ein möglichst geringes Gewicht achten. Als ein Kompromiss zwischen dem Gewicht, der Festigkeit und den Zerspanungseigenschaften wähle ich für Spulenscheiben vorzugsweise Mahagoni. Vom Gewicht-Festigkeit Verhältnis her wären vielleicht auch Rotzeder oder Birke geeignet, doch mit ihrer Bearbeitung habe ich leider bisher nicht genug Erfahrungen sammeln können. Ein zusätzlicher Vorteil von Mahagoni liegt im vorliegenden Fall in der Tatsache, dass es sich um ein wechselwüchsiges Holz handelt, bei dem die einzelnen Holzfasern miteinander verflochten sind, statt (wie ansonsten üblich) nebeneinander zu liegen. Wechselwüchsige Hölzer neigen daher etwas weniger zu Ausrissen an den Schnittkanten bei Ihrer Bearbeitung. Einen ähnlichen Vorteil hätte auch Birnbaum, der allerdings deutlich schwerer ist als Mahagoni. Dünne Brettchen aus verschiedenen Holzarten gibt es bei darauf spezialisierten Holzhändlern für Modellbauzwecke.
Anzumerken wäre noch, dass besonders bei Spinnflügeln mit den traditionell geschwungenen elliptisch verlaufenden Holmen würde die hintere Spulenscheibe in der gezeichneten Form einer dünnen geraden Ronde geometrisch bedingt viel zu klein geraten. Für eine Spule für einen solchen Flügel ist die deutlich dickere Spulenscheibe aus Eiche konzipiert, die auf einigen der Fotos zu sehen ist. Die Anfertigung von dieser Spulenscheibe läuft technologisch nach dem gleichen Prinzip.
05_Flügel_traditionell.jpg
Nach dem Zentrieren werden die Scheiben gebohrt. Dabei muss (im Gegensatz zu Metallwerkstücken) stets die für Holzwerkstoffe typische Tendenz zum Ausreißen beachtet werden. Am Austritt der Schneide aus dem Holzwerkstück haben die Randfasern keinen Halt mehr durch das umgebende Gefüge, und brechen ab bevor die Schneide es schafft sie abzuschneiden. Abhilfe schaffen z.T. rattenscharfe Werkzeuge, langsamer Vorschub und kleine Spandicken. Theoretisch zählt auch eine hohe Schnittgeschwindigkeit (50-70 m/s) zu diesen Maßnahmen, doch die hat nach meinen Erfahrungen leider auch einen Einfluss auf die Maßhaltigkeit (bei hoher Drehzahl wird die Bohrung tendenziell um einige Hundertstel größer). Aus diesen Gründen benutze ich für das Bohren mehrschneidige Schaftfräser (ein Fräser kann nicht verlaufen, weil er im Gegensatz zu einem Bohrer auch auf dem Umfang schneidet), und wähle für die letzten ca. 2 bis 3 Späne kleine Spandicken und geringe Drehzahlen. Beispiel für eine 20-er Bohrung: Nach dem Zentrieren 6-er/10-er/14-er/18-er/19-er/20-er Fräser, die letzten drei bei ca. 100 bis 150 U/min.
Die Vorderkante der fertigen Bohrung wird bei niedriger Drehzahl mit einem mittelgroben Schleifpapier (Körnung ca. 280 – 320) nur vorsichtig entgratet, nicht mit einem Senker gebrochen. Die Aufmerksamkeit und Vorsicht sollte dabei nicht nur auf die Kante, sondern vor allem auf die eigenen Finger gerichtet werden, die sich bei dieser Operation in gefährlicher Nähe der scharfkantigen Futterbacken befinden. Generell gilt, dass jede (auch eine sehr kleine) Werkzeugmaschine stärker ist als ihr Bediener, und sie ist in jeder Sekunde ihres Laufs in der Lage ihn zu verstümmeln oder sogar zu töten. Die einzige Abwehr dagegen liegt in einer ruhigen, vorausschauenden und vorsichtigen Bedienung. Werkzeugmaschinen sind Raubtiere, mit den man nicht mit Erfolg kämpfen kann.
Da wir bereits bei der Arbeitssicherheit sind, noch ein Hinweis zu der für die Metallbearbeitung i.d.R. unnötigen und somit ungewohnten Absaugung. Diese soll aus zwei Gründen für die Verarbeitung von Holz unbedingt verwendet werden. Erstens, um zu verhindern, dass der Holzstaub und feine Späne in die Führungen der Schlitten eindringen und dort ähnlich verheerenden Schaden einrichten, wie es z.B. beim Korundstaub beim Schleifen von gehärtetem Stahl der Fall wäre. Der zweite, noch wichtigere Grund, ist zu verhindern, dass man den Holzstaub einatmet. Dieser ist nicht nur für die Atemwege schädlich, sondern bei Harthölzern auch krebserregend (besonders bei Eiche und Teak). Fürs Erste reicht bereits ein Haushaltsstaubsauger, besser und leistungsfähiger wäre natürlich ein Werkstattsauger.

OK, weiter. Nach dem Ausspannen wird die trotz aller Vorsicht i.d.R. immer leicht fransige Hinterkante der Bohrung manuell entgratet. Die nach außen abstehenden Holzfasern werden nach innen (in die Bohrung hinein) umgebogen, mit einem mehrschneidigen Senker abgeschnitten und mit Schleifpapier geglättet. Diese (grundsätzlich hässlichere) Kante mit einem etwa 0,3 bis 0,5 mm Kantenbruch verschwindet später im inneren des Absatzes auf dem Spulenkern, und durch den Kantenbruch wird dabei sichergestellt, dass die Spulenscheibe auf der Planfläche des Absatzes sicher anliegt.
06_gebohrte_Spulenscheiben.JPG
Die Maßhaltigkeit der soeben hergestellten Bohrungen ist weitgehend unkritisch. Lediglich bei der vorderen Spulenscheibe wäre eine leicht untermaßige Bohrung vorteilhaft. Dann passt sie, ggf. nach dem Aufreiben, mit einem leichten Schiebesitz auf den gezielt um einige Hundertstel dünner gedrehten Spulenkern (Näheres dazu später).
Sollte eine Bohrung trotz aller Sorgfalt um einige Hundertstel zu groß geraten, kann man versuchen sie (nur an der Bohrungswand!) mit dünnflüssigem Sekundenkleber sparsam zu benetzen. Der Kleber zieht sofort ein, und bevor er aushärtet, schafft er es die Randfasern etwas aufzuquellen bzw. einzelne Fasern nach innen in den Freiraum der Bohrung hinein aufzurichten. Es ist ein ähnlicher Vorgang wie derjenige, der eine zuvor glatte Holzoberfläche nach dem Anstrich rau werden lässt. Ein fehlerhaftes Übermaß von ca. 0,05 bis vielleicht 0,1 mm lässt sich so häufig korrigieren, i.d.R. ist eine manuelle Nacharbeit z.B. mit einer Handreibahle erforderlich.

Der Wirtelrohling
wird ebenfalls mit einer Dekupiersäge (oder mit einer Bandsäge oder ganz primitiv mit einer Laubsäge) ausgesägt. Nach diversen Versuchen bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass sich für die bei uns mittlerweile üblichen mehrstufigen Wirtel eigentlich nur Buche (vorzugsweise Leimholz) eignet, weil sie das Einstechen der schon sehr feinen Wirtelrillen i.d.R. bruchfrei mitmacht. Früher habe ich vergleichbare Wirtel auch aus Eichenholz gedreht, und hatte irgendwann genug von ca. 50% Ausschuss bzw. vom Spachteln mit einem Gemisch aus Sekundenkleber und Holzschleifstaub.
07_Eichenwirtel.JPG
Das Vorbereiten (Bohren) eines Wirtelrohlings wird ähnlich gemacht wie oben bei den Spulenscheiben beschrieben, nur ist die Bohrung hier i.d.R. ein Sackloch. Vor dem Bohren ist das Überdrehen und glätten der Planfläche ratsam, weil man so die Rechtwinkligkeit der Bohrung zu dieser Planfläche sicherstellt. Die Tiefe der Bohrung und ihr Durchmesser hängen von der Außenkontur des fertigen Wirtels ab, soll heißen, dass die Klebeverbindung garantiert im Inneren des Wirtels und nicht zu Nahe an der fertigen Außenkontur liegen sollte. Weiterhin sollte die Tiefe der Bohrung um einige Zehntelmillimeter größer sein als die Länge des entsprechenden Zapfens am Spulenkern. Dieser Freiraum auf dem Grund der Bohrung ist für den Überlauf des Klebers reserviert, zusätzlich wird dadurch eine sichere Anlage des Wirtelrohlings auf der Schulter des zugehörigen Zapfens garantiert.
08_Wirtelrohling_bohren.jpg
Sehr kleine Wirtelrohlinge kann man u.U. in dem „normalen“ Backenfutter entweder gar nicht oder nur ungünstig spannen. Falls mein 125-er Backenfutter an seine Grenzen kommt, verwende ich die sog. Futter-in-Futter-Spannung mit einem kleinen 80-er (siehe Bild). Hierbei sind alle Regeln für das Spannen und Bearbeiten von wuchtigen Werkstücken zu beachten, insbesondere sollte die Maschine bei niedriger Drehzahl eingeschaltet und erst dann allmählich auf eine zurückhaltend gewählte Enddrehzahl hochgefahren werden.
Nach dem Ansenken der Bohrungskante ist auch der Wirtelrohling für die weitere Bearbeitung vorbereitet, und kann ausgespannt werden.

(wird fortgesetzt)
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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 16.03.2021, 08:58

Der Spulenkern
besteht aus einem mit ca. 2 mm Längenzugabe abgelängten Rundstab. Der Zuschnitt erfolgt mit einer (fast) beliebigen Säge, ich mache dies häufig manuell mit einer Japansäge. Als Material verwende ich ausgesuchte Buchenrundstäbe aus dem Baumarkt. Buche wähle ich deshalb, weil es ein hartes Holz ist (wegen der späteren mehrfachen Einspannung am Außendurchmesser, weiches Holz würde man dabei zerquetschen), das dennoch sehr gut zerspanbar ist und ohne zusätzlichen Aufwand sehr gute (glatte) Oberflächen liefert. Eiche und Esche wären ebenfalls möglich, nur sind diese Hölzer i.d.R. leider grobporiger als Buche.
Der Kernrohling wird in eine Spannzange gespannt und die Stirnseiten werden vorab plan gedreht.
09_Spulenkern_1.jpg
Dabei muss man bedenken, dass die handelsüblichen Rundstäbe aus Vierkantleisten durchs Fräsen hergestellt werden. Dadurch bedingt sind sie im Gegensatz zu Metallhalbzeugen nie 100%-ig zylindrisch und haben fast immer zusätzlich einige Zehntelmillimeter Aufmaß.
10_Rundstab_Querschnitt.jpg
So variiert der AD z.B. bei einem 20 mm Rundstab zwischen 20,2 und 20,6 mm.
11_ESX_ER_32.jpg
Daher muss man die Vordrehoperationen in einer 21 mm Mehrbereichspannzange machen, die auch das Spannen vom Untermaß erlaubt.
11_Spulenkern_2.jpg
Nach dem Plandrehen der 2. Stirnfläche spannt man den Rohling so um, dass er etwas mehr als die Hälfte seiner Länge aus der Spannzange herausragt. Nun eine Zentrierbohrung anbringen, das Bohrfutter im Reitstock gegen eine mitlaufende Spitze tauschen, und mit dieser dann das herausragende Ende des Rohlings stützen. Mit dem Anpressdruck der Spitze darf man es generell (und beim Holz besonders) nicht übertreiben, sonst verbiegt sich das Werkstück, und wird dadurch bedingt beim Längsdrehen nicht zylindrisch.
In dieser Aufspannung wird die erste Hälfte der Mantelfläche auf exaktes Endmaß und gleichzeitig eine exakt zylindrische Form gedreht. Ein leichtes Untermaß von ca. 2 bis 3 Hundertstel halte ich hier für vorteilhaft, weil sich dann das fertig gedrehte Teil leichter in die grundsätzlich „auf Null“ geschliffene Spannzange einschieben lässt. Daher strebe ich bei einem 20 mm Stab das gedrehte Maß von 19,99 mm an, weitere 1 bis 2 zwei Hundertstel gehen beim Glätten mit feinem Schleifpapier automatisch verloren.
12_Spulenkern_3.jpg
Als nächstes wird an dem soeben fertig bearbeiteten Ende gespannt (21-er Spannzange gegen eine 20-er wechseln), die zweite Planfläche zentriert, mit der Spitze unterstützt und die 2. Hälfte der Mantelfläche auf Endmaß gedreht und geglättet. Wenn man sich den Endwert auf dem Skalenring des Planschlittens von der Voroperation gemerkt hat, spart man sich das erneute Herantasten und Messen. Optimaler Weise ist es so, dass in der Mitte des Rohlings, wo sich die zwei aus unterschiedlichen Seiten zusammenkommenden Späne überlagern, keine Stufe entsteht.
13_Spulenkern_4.jpg
Nach dem Ausspannen wird die Länge des Werkstücks gemessen, anschließend wird wieder eingespannt (diesmal nur kurz herausragend) und die Stirn auf das endgültige Längenmaß durchs Plandrehen gebracht.
In gleicher Einspannung kann jetzt das eine Ende des Spulenkerns fertig bearbeitet werden, d.h. bis etwas über die Hälfte der Gesamtlänge tief gebohrt, ein Innenabsatz für die hintere Lagerhülse hergestellt und ein Außenabsatz zur Aufnahme der hinteren Spulenscheibe angedreht werden. Ich habe mir angewöhnt, zuerst das hintere Ende fertig zu bearbeiten, weil sobald man vorn den Wirtelrohling einklebt, lässt sich das hintere Ende nicht mehr ohne Weiteres herstellen. (Bitte keine Fragen zum Ursprung von diesem Hinweis, die Erfahrung war frustrierend genug.)
Für das Bohren des Innenabsatzes (des Lagersitzes) ist es vorteilhaft, die Tiefe auf 0,01 mm genau einzuhalten. Das geht verlässlich nur mit einem Skalenring an der Reitstockpinole, der aber leider nicht zu der Standardausstattung bei Hobbydrehmaschinen gehört. Daher habe bereits vor vielen Jahren diesen Skalenring an meinem Reitstock nachgerüstet. Ohne einen Skalenring bleibt nichts Anderes übrig, als den Lagersitz nach der stets vorhandenen auf der Pinole eingravierten Skala auf eine ungefähr entsprechende Tiefe zu bringen, diese zu messen, und die Länge der Lagerhülse später passend dazu herzustellen.
14_Spulenkern_5.jpg
Nach dem Umspannen wird sinngemäß das andere Ende des Spulenkerns bearbeitet. Dies umfasst das Fertigbohren des Durchgangslochs und die Herstellung eines Absatzes zur Aufnahme des Wirtelrohlings. Durch das Bohren von beiden Seiten nur jeweils bis zur Hälfte der Länge wird der Tatsache Rechnung getragen, dass eine mit einem Wendelbohrer hergestellte tiefe Bohrung immer aus der Mitte verläuft. Durch das Halbieren der Bohrungstiefe wird theoretisch auch der Fehler halbiert. Weiterhin sollte der Durchmesser dieser Bohrung so gewählt werden, dass:
- er größer oder gleich groß ist als der Durchmesser der Freibohrung der Lagerhülse (damit garantiert nur die Gleitflächen der Lagerhülsen „tragen“)
- er kleiner ist als der Außendurchmesser der Lagerhülse (damit sich die Lagerhülse beim Einpressen auf eine nennenswerte Schulter stützen kann)
- er dem Durchmesser eines vorhandenen absolut geraden und glatten Stücks Rundmaterial entspricht (damit man später zwischen den Öl- oder Lackschichten einen glättenden Zwischenschliff vorteilhafter Weise in der Maschine machen kann)
(Auf alle diese Sachen komme ich später noch einmal zurück.)
Beispiel: Für 6mm oder ¼ Zoll (=6,35 mm) Spindeldurchmesser ist eine 8 mm Bohrung geeignet, die Freibohrung der Lagerhülse wäre dann mit 7 bis 7,5 mm ausreichend und der AD der Lagerhülse von ca. 10 mm würde eine 1 mm breite Schulter liefern.
Das typische Verlaufen eines Wendelbohrers kann zusätzlich reduziert werden, wenn man mit einem Schaftfräser ca. 10 bis 20 mm tief vorbohrt und somit für eine Führung an der Wendel des Bohrers sorgt. Für den Enddurchmesser wird für diese Vorgehensweise leicht untermaßiger (ein womöglich nachgeschliffener) Fräser benötigt, denn auch Fräser erzeugen im Holz um einige Hundertstel übermaßige Löcher. Bei den Zwischenstufen ist dies belanglos, denn z.B. für das Aufbohren von 4 auf 6 mm kann man nach dem Vorbohren mit einem 6-er Fräser mit einem Bohrerdurchmesser von 6,1 auf Tiefe bohren.
15_Alternative_Verbindung.JPG
Der Absatz zum Einkleben des Wirtelrohligs kann sowohl als ein Innenabsatz (= ein Loch, dann muss an den Wirtelrohlig ein dementsprechender Zapfen angedreht werden) als auch als ein Außenabsatz (= ein Zapfen, dann muss der Wirtelrohling eine dementsprechende Bohrung erhalten, wie oben beschrieben). Die zweite Möglichkeit ist aufgrund des Faserverlaufs des Holzes an der Klebestelle vorteilhafter, weil die Holzfasern des Kerns und des Wirtels sich ohne Unterbrechung kreuzen, und die Verbindung ist dadurch bruchsicherer. Grundsätzlich, wenn es irgendwie geht, macht man solche Verbindungen so, dass man zuerst die Bohrung in einem der beiden Teile herstellt, und den Zapfen dann passend dazu dreht. An dieser konkreten Stelle ist es mit der Passgenauigkeit allerdings weniger kritisch, viel mehr strebt man hier ein Spiel von einigen Hundertstelmillimetern an, um Platz für den Kleber zu schaffen.
Übrigens, Holzwerkstücke sollte man im Gegensatz zu Metallwerkstücken nie zwischendurch (z.B. über Nacht) eingespannt lassen, auch nicht in der flächig spannenden Spannzange. Holz ist ein flexibler und nachgiebiger Werkstoff, und nach einer gewissen Zeit gibt er auch dem Druck der Spannzange etwas nach. Die Einspannung ist danach nicht mehr ausreichend fest und zusätzlich kann dies Druckspuren bewirken, auch im Hartholz. Daher habe ich mir angewöhnt, die Arbeitsschritte so zu planen, dass ich sie in der aktuell zur Verfügung stehenden Freizeit abschließen und das Werkstück ausspannen kann.

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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 16.03.2021, 09:14

Weitere Bearbeitungsschritte

1) Das Verkleben des Wirtelrohlings mit dem Spulenkern
Hierfür empfehle ich aufgrund der höchstmöglichen Festigkeit dringend Epoxidharz. Vor dem Zusammenfügen sollte man die Klebeflächen mit einem in Azeton getränkten fusselfreien Lappen abwischen. Dadurch werden die Flächen nicht nur entfettet, sondern der ins Holz eingedrungene Azeton beseitigt auch Gerbstoffe (sehr wichtig bei Eiche) und/oder ölige Substanzen (sehr wichtig z.B. bei Teak) und Reste vom stets vorhandenen Baumharz.
Die Güte der Verbindung wird durch das Anwärmen von Harz und Härter verbessert. Ich habe mir daher angewöhnt, die beiden Behälter mit Harz und Härter für einige Minuten auf den Werkstatt-Heizlüfter flach auf die Seite zu legen. Somit hat der Kleber beim Verrühren der beiden Komponenten eine Temperatur von etwa 40°C, was sowohl die erzielbare Endfestigkeit erhöht als auch das Füllen der Klebefuge und das Eindringen in das Holzgefüge verbessert (der Kleber wird mit zunehmender Temperatur flüssiger).
16_Kern_Wirtel.JPG
Nach dem sparsamen Benetzen der beiden Klebeflächen werden die Teile zusammengesteckt und zur gleichmäßigen Verteilung des Klebers mehrfach gegeneinander verdreht. Den ggf. nach außen überquellenden Kleber sollte man so schell wie möglich mit einem mit Azeton getränkten Lappen abwischen und das Werkstück senkrecht auf dem Wirtelrohling stehend zum Aushärten abstellen.
Auch dann, wenn man einen schnellhärtenden Kleber verwendet hat, sollte man mit weiterer Bearbeitung mindestens 24 Stunden, besser 2-3 Tage warten.

2) Das Fertigdrehen der hinteren Spulenscheibe
bietet sich für die Überbrückung der o.a. Wartezeit sehr gut an. Die hintere Spulenscheibe wird dazu auf einen selbstgefertigten Aufspanndorn an ihrer Bohrung zentriert kraftschlüssig gespannt.
17_Spulenscheibe_Drehen.JPG
18_Spulenscheibe_Drehen.JPG
Der Spanndurchmesser des Dorns wird passend zu dem Istmaß der Bohrung gedreht. So hat z.B. mein 14-er Dorn einen Spanndurchmesser von 14,03 mm, weil mein 14-er vierschneidiger Fräser genau diesen Durchmesser im Holz bohrt. Auf jeden Fall ist hier eine eher strammere Übergangspassung vorteilhaft, weil man damit eine definierte Lage des Werkstücks und somit einen besseren Planlauf erzielt. Eine weitere wichtige Maßnahme in diese Richtung ist, dass der Durchmesser der Schulter am Dorn mit dem Durchmesser der Andrückscheibe identisch ist.
19_Spanndorne.JPG
Bei der Gestaltung des Aufspanndorns sind prinzipiell zwei Varianten möglich. Die Variante mit Außengewinde ist vorteilhafter, weil ein so gestalteter Dorn mit der Reitstockspitze gestützt werden kann. Damit für die Bearbeitung der linken Planfläche genug Platz für das entsprechende Werkzeug zur Verfügung steht, muss der Dorn aus der Spannzange doch schon beachtlich herausragen, und die Stabilisierung durch die Spitze ist daher wünschenswert.
20_Spulenscheibe_drehen.jpg
Um Druckstellen zu vermeiden, wird die Spulenscheibe auf dem Dorn zwischen Beilagen (Scheiben) aus Sperrholz gespannt. Nach dem Ankratzen am Außendurchmesser und dem Nullen des Skalenrings wird jedoch zuerst die linke Kante der Scheibe mit dem Rücken des rechten Seitendrehstahls bei langsamer Drehzahl (ca 100 U/min) angefast. Früher, als ich fast ausschließlich HSS-Drehstähle verwendete, habe ich mir an einem rechten Seitenstahl extra für diesen Zweck eine zweite, unter ca. 45° angestellte Schneide angeschliffen. Bei der im Weiteren abgebildeten Wendeplatte (Typ DCGT bzw. DCMT) ist diese Fasenschneide durch die entsprechend angestellte Nebenschneide bereits vorhanden. Dann folgt das Zurückfahren und während der Rückfahrt das Zustellen zurück auf Null bei drehender Maschine. Bei der nachfolgenden Spanabnahme darf nur kurz vor das Ende der Fase zugestellt werden, die Spandicke muss also stets kleiner sein als die zuvor hergestellte Fase. Nur so vermeidet man die für Holz leider typischen Ausrisse, die man von der Metallbearbeitung nicht kennt. (Bitte auch hier keine Fragen zum Ursprung des Tipps.)
Diesen Zyklus (Drehzahl runter – Fase – Drehzahl erhöhen – Span – ausschalten – Messen) wiederholt man in üblicher Manier bis zum Erreichen des Sollmaßes. Danach wird an die linke Planfläche bei zwingend niedriger Drehzahl die endgültige breite Fase angedreht. An eine 4 mm dicke Spulenscheibe drehe ich eine 3 mm breite Fase nach Augenmass an. Dafür muss die Fasenschneide schon sehr gut scharf sein, sonst gibt es das volle unerwünschte Programm mit Einhaken, Rattern und Ausrissen. Eigentlich wäre bei einer so großen Fase fast schon angebracht, den Oberschlitten zu schwenken und wie sonst üblich die Fase als einen Kegel zu drehen. Zu guter Letzt, falls es ausreicht die Fase nur „irgendwie schräg“ statt definiert herzustellen, kann sie komplett freihändig angeschliffen werden.
Diese Fase hat in vielen Fällen lediglich eine optisch-ästhetische Bedeutung, und wenn sich der Geschmack der Spinnerin damit anfreunden kann, kann sie auch weggelassen werden. Abhängig von der Form des zugehörigen Spinnflügels kann sie jedoch darüber entscheiden, ob die Spule später hineinpasst oder nicht. Dies ist z.B. bei den alten hölzernen Flügeln von Ashford und bei einem grenzwertig mutig gewähltem AD der Scheibe der Fall.
Nun müssen die beiden Planflächen der Scheibe überdreht werden. Bei einer so geringen Dicke von 4 mm sollte das mit eher kleinen Spänen geschehen. Der sparsamste Weg ist m.E., dass man die Schneide des Stahls so nahe wie möglich ans Zentrum an die Fläche heranfährt (in der Praxis sehr dicht an den Beilagen) und dort ankratzt. Dann wird das Werkzeug ohne Zustellung nach außen zum Rand der Scheibe gefahren. Anschließend wird 0,1 mm zugestellt und das Werkzeug in Richtung Mitte zurück gefahren. Auf den letzten ca. 4 bis 5 mm des Schnitts wird die Zustellung allmählich und fließend mit dem Oberschlitten zurückgenommen, um eine später sichtbare Stufe zu vermeiden. An dieses zweihändige Drehen in zwei Achsen gleichzeitig muss man sich erst einmal gewöhnen, ich beherrsche es leider immer noch nicht zu meiner vollkommenen Zufriedenheit. Wenn die Ausrichtung der Scheibe beim Einspannen gut gelungen ist, reicht dieses Verfahren zu einer zufriedenstellenden Planheit der Fläche aus.
21_Bremsrille.JPG
Die vorletzte Operation ist das Einstechen einer schmalen Rille auf dem Umfang der Scheibe. Der einzige Zweck dieser Rille ist die Aufnahme der Bremsschnur auf unserer Lazykate (viewtopic.php?f=19&t=27304) beim Zwirnen. Bei dem dabei typischen ständigen Wechsel zwischen der Haftreibung und der Gleitreibung ist m.E. günstig, wenn eine glatte Bremsschnur (bei uns eine Angelsehne mit 1 mm Durchmesser) auf einer relativ großen Fläche anliegt, damit sie mit nur wenig Anpressdruck (=Schnurspannung) den gewünscht sanften Bremseffekt erzielt. Diesen Zweck könnten die bei uns üblichen sehr kleinen Wirtel kaum erfüllen, und somit werden unsere Spulen auf der hinteren Spulenscheibe mit dieser „Bremsrille“ ausgestattet, die fürs Spinnen bedeutungslos ist. Somit ist diese Rille für die Spinnpraxis meiner Frau spezifisch, und kann wahrscheinlich in der Mehrheit der Fälle weggelassen werden. Falls es dennoch für jemanden wichtig ist: Der Rillengrund ist 1 mm breit, die Rille ist ca. 1,5 bis 2 mm tief, der Flankenwinkel beträgt 28° und sie ist mittig eingestochen.
Abschließend wird die fertig gedrehte Scheibe mit Schleifpapier geglättet. Ich schreibe bewusst nicht „geschliffen“, weil hier ein nennenswerter Materialabtrag nicht erwünscht ist. Das würde die mühsam exakt gefertigten Konturen verfälschen, was z.B. bei den im Folgenden beschriebenen Wirtelrillen einen negativen Einfluss auf die Funktion haben könnte. Daher mache ich den Vorschliff bereits mit einem schon relativ feinen 320-er Schleifpapier, gefolgt mit 400-er und 600-er Körnung. Die Maschine dreht dabei ca. ab 2000 U/min aufwärts, je Körnung jeweils im Rechts- und Linkslauf. Mit einem Stück abgenutzten (bereits stumpfen) Schleifpapiers mit 600-er Körnung (wieder jeweils im Rechts- und Linkslauf) erzielt man zum Schluss eine seidenglänzende polierte Oberfläche, die normaler Weise erst nach einem mindestens zweimaligen Anstrich mit Zwischenschliff zustande kommt.
Falls man die hölzernen Beilagen beim Einspannen der Scheibe weggelassen hat, wird sie wahrscheinlich Druckspuren von der Schulter des Dorns und von der Andrückscheibe an ihren Planflächen aufweisen. Pfeifenmacher reparieren ähnliche Macken an Pfeifenköpfen durch das Anfeuchten der Druckstelle und anschließender Erwärmung mit einer Heißluftpistole oder notfalls mit einem Haarfön. Das ins Holz eingedrungene Wasser verdampft dabei, und rückt die zusammengedrückten Holzfasern wieder zurecht. Die zugeführte Wärme muss mit viel Vorsicht und Aufmerksamkeit dosiert werden, damit man dabei nicht etwa eine Druckstelle durch einen Brandfleck ersetzt. Daher ist es sicherer, den Vorgang zu stoppen und bei Bedarf zu wiederholen, sobald das Holz wieder trocken aussieht. Als Nebeneffekt wird die Holzoberfläche dabei leider ziemlich rau, und muss erneut mit Schleifpapier geglättet werden.
Diese Prozedur sieht schon sehr nach Zauberei aus. Als mich unser damals noch ziemlich kleiner Sohn einmal bei dieser Nacharbeit beobachtete, war er danach eine Zeit lang fest davon überzeugt, dass ich zaubern kann. In dieser Zeit war er dann auch auffällig brav, bis ich alles durch eine Erklärung des Vorgangs zerstört habe.

3)Das Fertigdrehen des Wirtels
Weil es hierbei um den wichtigsten Bestandteil der Spule geht, möchte ich dazu zwei kurze Anmerkungen an dieser Stelle loswerden. In der Prinzipskizze sind 5 Wirtelrillen dargestellt, die sich axial über eine Länge von 13,2 mm erstrecken. Natürlich kann an dieser Stelle auch nur eine Rille eingestochen werden. Das würde durchaus der gängigen Praxis entsprechen, wäre allerdings gleichzeitig eine verpasste Chance auf eine deutliche Verbesserung. Wenn die Spule in einem zweifädigen Rad eingesetzt werden sollte, gewinnt man mit jeder zusätzlichen Spulenrille einen ganzen Bereich, in dem man die Einzugsstärke mit der Feineinstellung der Antriebsschnurspannung regeln kann. Beim Einsatz an einem spulengetriebenen Rad gewinnt man mit jeder zusätzlichen Rille eine Übersetzungsstufe. Beides ist in der Spinnpraxis sehr sinnvoll und willkommen, daher plädiere ich stets für einen Stufenwirtel. Doch Vorsicht, die dadurch bedingte Schrägstellung der Antriebsschnur setzt hier Grenzen nach oben, endlos weitertreiben kann man es nicht.
22_Rillenquerschnitt.jpg
Der zweite, wahrscheinlich der wichtigste Aspekt überhaupt, ist der Querschnitt einer Wirtelrille. Dieser bestimmt durch seinen Flankenwinkel, der Breite am Rillengrund und der Tiefe der Rille im Zusammenspiel mit der Antriebsschnur maßgeblich die Eigenschaften des gesamten Spinnrads. Die Rille ist sozusagen mit der Antriebsschnur verheiratet, und nur bei einer richtigen Kombination kann man ein gutes Ergebnis erwarten. Mit dieser recht komplexen Materie setzen sich folgende Beiträge auseinander:
Theoriethread: viewtopic.php?f=19&t=28075
Praxisbezogener Wirtelthread: viewtopic.php?f=19&t=26273
Der Rillenquerschnitt des im Wirtelthread beispielhaft hergestellten Flügelwirtels ist für einen 2 mm PUR-Riemen konstruiert, würde sich also genauso gut für einen Spulenwirtel an einem spulegetriebenen Rad eignen. Beim extrem leichtgängigen zweifädigen Rad mit Doppeltritt funktioniert ein ähnlicher Querschnitt an der Spule (Rillengrund 1,3 mm breit) im Zusammenspiel mit einer 1,4 mm dicken rundgeflochtenen Antriebsschnur aus Polyester (Fabrikat Liros) in der Praxis ebenfalls, sogar mit verblüffenden Nebeneffekten. Der zugehörige Flügelwirtel hat sehr spitz auslaufende Rillen mit nur 0,6 mm breitem Rillengrund. Doch sobald der Gesamtwiderstand nur geringfügig durch den Einsatz eines WooLee Winder Flügels erhöht wurde, ging nichts mehr. Daher verwende ich mittlerweile für die o.a. Schnur für zweifädige Spulen spitzer ausgeformte Rillen mit einem Rillengrund von 0,9 mm und einer Tiefe von 2 mm, die Flügelwirtel sind die gleichen geblieben. So hat die Spule mehr Gripp für den Einzug und man ist selbst bei einem weniger leichtgängigen Rad und/oder beim Einzeltritt auf der sicheren Seite. Den Flankenwinkel von 28° haben sowohl am Spulen- als auch am Flügelwirtel alle aufgelisteten Varianten gemeinsam.

(wird fortgesetzt)
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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 16.03.2021, 09:23

Jetzt geht es wieder zurück in die Werkstatt.
23_Wirtel_1.JPG
Die nun bestimmt ausgehärtete Einheit aus dem Spulenkern und dem Wirtelrohling wird so weit herausragend in einer Spannzange gespannt, dass man die linke Planfläche mit einem dünnen (ca. 0,1 mm) Schlichtspan überdrehen kann. Dieser Span stellt sicher, dass der womöglich schief in den Spulenkern eingeharzte Wirtelrohling eine einwandfrei plane und rechtwinklige Schulter für das spätere Ankleben der vorderen Spulenscheibe bildet. Auch die rechte Planfläche wird mit einem ähnlich dünnen Span überdreht. Aus mehrfacher Erfahrung kann ich sagen, dass dieses zweifache Abplanen der beiden Flächen mindestens 0,2 mm von der Wirtellänge kostet. Die minimale Längenzugabe sollte hier also 0,3 mm betragen (der dritte Zehntel ist ein Angstzuschlag).
24_Wirtel_2.JPG
Die Istlänge zwischen den beiden jetzt garantiert parallelen Planflächen wird gemessen, und von der rechten Planfläche ausgehend in mehreren moderaten Spänen (aufgrund der großen auskragenden Länge maximal ca. 2 mm je Spanabnahme) an die vorgesehene Solllänge angeglichen.
Die rechte Planfläche erhält eine Zentrierbohrung, in die eine mitlaufende Reitstockspitze gesetzt wird. Dieser Zustand bleibt (fast) bis zur endgültigen Fertigstellung des Wirtels erhalten.
25_Wirtel_3.JPG
Nach dem Ankratzen sowohl an der rechten Planfläche als auch am Außendurchmesser und dem Nullen des Skalenrings wird der bereits beim Längsdrehen der hinteren Spulenscheibe verinnerlichte Zyklus (Drehzahl runter – Fase – Drehzahl erhöhen – Span – ausschalten – Messen) bis zum Erreichen des Sollwerts des größten Außendurchmessers am Wirtel angewendet. Erschwerend kommt hier hinzu, dass die letzte Fase hier nur ca. 0,2 bis 0,3 mm größer sein darf als der darauffolgende letzte Längsspan.
26_Wirtel_4.JPG
27_Wirtel_5.JPG
Der Skalenring des Planschlittens wird genullt und der Drehstahl vor die rechte Planfläche zurückgefahren. Jetzt werden zuerst die einzelnen Stufen des Wirtels mit dem rechten Seitendrehstahl gedreht und dann die einzelnen Rillen mit dem Formstechstahl eingestochen.
28_Wirtel_6.JPG
29_Wirtel_7.JPG
Die Vorgehensweise entspricht dabei exakt der hier viewtopic.php?f=19&t=26273
unter den Punkten 7) und 8 ) Beschriebenen. Die substanziell notwendige exakte Einhaltung der von der Konstruktion vorgegebenen Maße wird durch die Konzentration auf die Skalenringe sichergestellt. Ich werfe dabei vorsichtshalber nur in den Pausen zwischen den Schnittvorgängen einen Kontrollblick auf das Werkstück, ansonsten konzentriere ich mich voll nur auf die Skalenringe.
30_Formstechstähle.JPG
In letzten Jahren verwende ich vorzugsweise nur noch den mittleren Formstahl im Bild mit einer 0,3 mm breit angeschliffenen Querschneide. Die linke Kante der Querschneide wird unter der Lupe nach Sicht bündig mit der rechten Planfläche des Wirtels ausgerichtet und der Skalenring am Oberschlitten genullt. Danach wird das erste Längenmaß nach Skala angefahren, der Durchmesser angekratzt und der Skalenring des Planschlittens genullt. Nach dem Erreichen der vollen Nuttiefe verfahre ich die restlichen Zehntelmillimeter bis zur vollen Breite des Nutgrunds axial vorwärts.

(wird fortgesetzt)
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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 16.03.2021, 09:34

31_Wirtel_8.JPG
Beim Einstechen der Rillen ist mir bisher jedes Mal passiert, dass bedingt durch den erheblichen Schnittdruck die jeweils zum Rand hin (zu der jeweiligen Planfläche) zeigende Seitenschneide des Formstechstahls das Holz bei der ersten und bei der letzten Rille nach außen unregelmäßig verbiegt. Dabei werden die beiden Planflächen wellig, und müssen wieder begradigt werden. Dazu kratzt man wie weiter oben beschrieben nahe am Zentrum an, und fährt mit der Schneide ohne Zustellung zuerst nach außen, und dann (!ebenfalls ohne Zustellung!) wieder zurück zum Zentrum. Für die rechte Planfläche wird man wahrscheinlich dafür die Reitstockspitze wegnehmen müssen. Bei der Linken muss man beim Ankratzen ähnlich vorgehen, wie man es beim Drehen eines Wellenfreistichs macht.
32_Wirtel_9.JPG
Durchs Messen wird jetzt überprüft, ob die zuvor hergestellte Gesamtlänge des Wirtels wieder stimmt. Um eine ggf. vorhandene Welligkeit der Flächen festzustellen, sollte an mehreren Stellen gemessen werden. Sollte die Messung Abweichungen im Bereich von 0,1 mm oder mehr offenbaren, sollte man noch einmal nachdrehen.
Wenn alles stimmt, kann der Wirtel auf die bereits beschriebene Weise geglättet werden.
33_Wirtel_10.JPG
34_Wirtel_11.JPG
Vom Aufwand her kann jetzt mit einem Glas Wein (stilechter Weise eines selbst hergestellten) das Bergfest gefeiert werden.

4) Vordere Spulenscheibe ankleben und bearbeiten
Die vorgebohrte vordere Spulenscheibe wird auf den Spulenkern aufgeschoben und mit Sekundenkleber angeklebt. Irgendwann in den 1990-er Jahren haben die Hersteller dem Druck der vom Hype des Umweltgedanken erfassten aber leider ahnungslosen Öffentlichkeit nachgegeben, und brachten sogenannte umweltgerechte bzw. „grüne“ Sekundenkleber auf den Markt. Diese sind frei von dem typischen beißenden und ätzenden Geruch, und sind erfreulicher Weise ungiftig. Der Preis dafür ist, dass sie nicht richtig kleben. Daraus resultiert die Faustregel für Sekundenkleber: Was nicht stinkt, das hält nicht (so leid es mir auch tut). In diesem Sinne empfehle ich den aus eigener Praxis seit Jahrzehnten bewährten Pattex Ultra Gel, der neben einem bombenfesten Halt auch die Möglichkeit von einigen Sekunden Zeit für Korrekturen bietet. Wie sicherlich bereits vermutet, stinkt er wie die Pest und ist auch ziemlich giftig. Und nein, ich bin eher ein militanter Umweltfreak.
Der Kleber wird sehr sparsam nur auf die Mantelfläche des Spulenkerns sehr nahe an die Kehle aufgetragen. Mit einer drehenden Bewegung wird die Scheibe auf die Klebefläche aufgeschoben, ausgerichtet und festgedrückt. Bitte nicht die durch die linke Planfläche des Wirtels gebildete Schulter benetzen, hier steigt der Kleber aus der Klebefuge automatisch hoch. Optimal ist, wenn im Bereich der letzten Wirtelrille nach dem Andrücken der Scheibe gar kein Kleber aus der Fuge heraustritt. Falls doch, bitte sofort mit einem Stück Küchenkrepp abwischen und dabei peinlichst darauf achten, dass kein Kleber in die Rille hinein kommt.
35_vordere Spulenscheibe.JPG
Nach dem Aushärten des Klebers wird diese Einheit, wieder am Spulenkern, in eine Spannzange für die Bearbeitung der vorderen Spulenscheibe eingespannt. Diese läuft genauso ab wie bei der hinteren Spulenscheibe, nur ist i.d.R. die vordere Spulenscheibe größer. Bei kleineren Maschinen sollte man daher vorher überprüfen, ob der Verfahrweg des Planschlittens ausreicht. Weiterhin wird spätestens hier für das Plandrehen der linken Stirnfläche ein extra weit herausragend eingespannter Drehstahl benötigt, prinzipiell so weit, wie viel der AD der Scheibe über den AD des Spulenkerns hinausragt.
36_Schräglage.JPG
Bei der Bearbeitung der Planflächen wird deutlich, dass trotz aller Vorkehrungen und Sorgfalt die Scheibe eigentlich immer ein wenig schräg eingeklebt wurde (im Bild bewusst übertrieben dargestellt). Bedingt durch den oft recht großen Radius der Scheibe potenziert sich der Lagefehler von einigen Hunderstelmillimetern im Zentrum zu einem beachtlichen Planschlag am Umfang.
Ebenfalls wird beim Hantieren mit einem Plandrehstahl an der rechten Planfläche der Scheibe klar, warum der Wirtel VOR dem Einkleben der Scheibe gedreht wurde. Und ja, richtig vermutet, dass auch dies zu den Erfahrungen gehört, die ich aus Selbstschutzgründen gern vergessen würde.
37_Planfläche_R.JPG
Die Planflächen können durchaus rechtwinklig zur Achse belassen werden, lediglich die Kanten außen am Umfang sollte man stets verrunden. Man kann sie aber auch zumindest auf den äußeren vielleicht ca. 10 bis 20 mm leicht anschrägen bzw. wölben. Diese Schrägen haben nur eine optische Bedeutung, für die Funktion sind sie belanglos. Ich schleife sie nach Augenmaß mit einem etwas grober gekörntem Schleifpapier an, damit die Spule etwas gefälliger und „spinnradiger“ aussieht. Man kann sowas nicht wirklich sinnvoll drehen, denn die Scheibe ist bezogen auf ihre Dicke doch schon relativ groß und federt auch unter einer sehr gut scharfen Schneide bedingt durch den Schnittdruck zurück. Das ergibt Rattermarken und schlimmstenfalls auch Ausrisse, die man hinterher hätte sowieso wegschleifen müssen.
38_Lagersitz.JPG
Das abschließende Bohren des Lagersitzes für die vordere Lagerhülse wurde im Abschnitt „Spulenkern“ bereits beschrieben.

(wird fortgesetzt)
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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 16.03.2021, 09:45

5)Das Ankleben der hinteren Spulenscheibe
ist der letzte Arbeitsgang am Spulenkorpus und gleichzeitig die konstruktive Schwachstelle der beschriebenen Technologie. Man kann es entweder genauso machen wie beim Ankleben der vorderen Spulenscheibe, insbesondere dann, wenn der Sitz der Spulenscheibe auf dem Kern etwas lockerer geraten ist. Die Trefferquote ist bestenfalls 50%, soll heißen, bei einer Serie von 2 Spulen gelingt eine Scheibe relativ rechtwinklig anzukleben und die andere wird etwas schief. Oder man verwendet ein nicht ganz so schnelles Epoxidharz, und klebt die Spulenscheibe in der Maschine an.
39_hintere_Spulenscheibe.JPG
Dafür muss mit einem absolut geraden und unversehrten Stück kaltgezogenen Rundmaterials gleichen Durchmessers wie die Bohrung im Kern erst einmal probiert werden, wie weit es sich in die Bohrung Im Spulenkern einschieben lässt bis es klemmt. Um diese Länge + ca. 20 mm herausragend wird die Rundstange in eine Spannzange eingespannt, und die Spule wird mit dem Wirtel voran darauf geschoben. Die Tatsache, dass die Bohrung von beiden Seiten bis ca. zur Mitte hergestellt wurde, bewirkt, dass bedingt durch den stets verlaufenden Wendelbohrer die Bohrung in der Mitte des Kerns leicht (vielleicht nur im Hundertstelbereich) geknickt ist. Eine eingeschobene glatte Rundstange verklemmt in diesem Knick, je nach Einpressdruck sogar so stark, dass es sogar als eine Noteinspannung für eine Spanabnahme mit Vorbehalt genutzt werden kann.
Die Maschine wird mit Zeitungspapier, Lappen o.Ä. abgedeckt, das angerührte Epoxidharz auf die Mantefläche des Absatzes sparsam angebracht und die hintere Spulenscheibe mit drehenden Bewegungen aufgeschoben. Nach dem Abwischen des ggf. überquollenen Klebers mit Azeton wird die zuvor vorbereitete Reitstockspitze herangefahren und in die Bohrung für die hintere Lagerbuchse gesetzt. Jetzt wird die Maschine gestartet. Mit einem ebenfalls zuvor vorbereiteten glattem und verrundeten Stück Weichholz, das im Stahlhalter statt eines Drehstahls eingespannt ist, fährt man jetzt an die rechte Planfläche der Spulenscheibe heran. Durch vorsichtige Zustellung in Richtung Planfläche wird jetzt letztere ausrichtet. Eigentlich erfolgt der Ausrichtvorgang erst bei der Rückfahrt, die daher eher langsam sein sollte. Ebenfalls langsam sollte die Maschine beim Ausrichtvorgang drehen.
Die Gefahr dabei lauert darin, dass man bei übertrieben großer Zustellung mit dem Ausrichtholz und bei einer viel zu lockeren Passung zwischen der Scheibe und dem Kern die Scheibe aus ihrer korrekten Position dicht an der Schulter des Absatzes heraushebeln kann. Daher ist es sehr sinnvoll, das ganze Szenario trocken ohne Kleber einzuüben. So merkt man rechtzeitig, wo welche Probleme auftauchen können, bzw. wie viel Zustellung man sich bei dem Ausrichtvorgang erlauben kann. Ebenfalls kann man so ohne Ausschussgefahr diesen doch recht komplexen Vorgang trainieren, der später „in echt“ zusätzlich noch sehr zügig ablaufen muss.

6)Die Oberflächenbehandlung
40_Rohbau.JPG
Der fertige und komplettierte Spulenkorpus sollte nun der Oberflächenbehandlung unterzogen werden. Unbehandelt würde ich kein Holzteil lassen, das für den Innenbereich gedacht ist. Unbehandeltes Holz kann bei Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen empfindlich reagieren, vergraut mit der Zeit allmählich durch den allgegenwärtigen Staub und zudem werden zuvor glatt bearbeitete Holzflächen mit der Zeit wieder rau. Im Außenbereich ist es anders, dort entsteht durch Verwitterung die bekannte silbergraue Schicht auf der Oberfläche, die das Holz besser schützt als jeder denkbare Anstrich. Doch das ist eine andere Geschichte.
Spulen (und andere Spinnradteile ebenfalls) können nach individuellen Geschmack sowohl lackiert als auch geölt oder gewachst werden. Ich verwende ausschließlich den Leinos Hartöl Spezial, weil ein Anstrich mit Öl im Gegensatz zum Lack nicht auf den Flächen aufbaut. Bei den Wirtelrillen ist dies m.E. sehr wichtig, weil die Konturen der feinen Rillen bleiben in Ihrem (für die Funktion substanziell wichtigen) Querschnitt erhalten, und können nicht durch die auftragende Lackschicht verzerrt werden. Im Regelfall sind drei Ölaufträge mit Zwischenschliff nötig. Den Zwischenschliff (eigentlich ist das wieder nur eine Glättung der Oberflächen) kann vorteilhafter Weise in der Maschine gemacht werden, gespannt wird wieder durch das Aufschieben auf die Rundstange, die bereits für das Ankleben der hinteren Spulenscheibe benutzt wurde. Nach dem letzten Ölauftrag kann die Oberfläche durch das Polieren mit einem sauberen weißen und fuselfreien Baumwolllappen auf den gewünschten Glanzgrad eingestellt werden. Die Sicherheitshinweise des Herstellers bezüglich der Gefahr von Selbstentzündung sind berechtigt, und sind unbedingt einzuhalten.
Falls ich unbedingt lackieren müsste, würde ich zu der UNI-Siegel Parkettversiegelung auf Polyurethanbasis von der Firma Jansen greifen. Dieser Lack bildet ähnlich wie diverse Hartöle eine harte und weitgehend kratzfeste Schicht, und ist in drei Glanzgraden verfügbar (tuffmatt, seidenglänzend und hochglänzend).
Mit Wachsen jeglicher Art habe ich keine Erfahrung.
Grundsätzlich ist aber wohl wahr, dass die besten Ergebnisse mit demjenigen Anstrichsystem erreicht werden, den man am besten aus eigener Praxis kennt.
Allen Anstrichsystemen gemeinsam ist die Tatsache, dass sie nur an Flächen haften. Da die Fläche einer Kante gleich Null ist, kann man das Haften des Anstrichs an einer Kante nicht erwarten. Daher bitte sämtliche Kanten zumindest leicht verrunden, ein Radius von 0,1 mm reicht bereits.
41_geölt_poliert.jpg
Das Beizen mit einer Spiritusbeize auf einen einheitlichen Farbton vor der Endbehandlung habe ich in der Vergangenheit auch schon gemacht, bis ich dabei einige böse Überraschungen durch einen fürchterlichen Verzug des Werkstücks erlebt habe. Holz kann beim Quellen durch Feuchtigkeit ungeheuere Kräfte entwickeln, die mir einmal einen mehrstufigen Wirtel aus Buche von dem sorgfältig mit hochfestem Epoxidharz eingeklebten Metallkern abgerissen haben. Den Wirtel konnte ich zwar noch retten, aber seither versuche ich das Beizen wenn möglich zu vermeiden.

7)Die Lagerbuchsen
können in einem beliebigen Stadium der Fertigung gemacht werden. Ich habe mir angewöhnt, sie als eine Art von Füllarbeit in die Trocknungszeiten des Anstrichs zu „schieben“, daher kommen sie hier erst zum Schluss.
Fertige Gleitlager-Buchsen kann man (bekannter Hersteller und Anbieter ist z.B. Igus) für sehr kleines Geld kaufen, aus finanzieller Sicht lohnt sich also die Eigenherstellung eigentlich nicht. Die Igus-Buchsen haben allerdings für unsere Zwecke den Nachteil, dass sie aus Belastungsgründen die Form eines Rohrs haben, die reibende Länge ist also der Gesamtlänge gleich. Das ist für die Lagerung von Spinnradspulen allerdings weniger günstig, weil hier keine nennenswerte radiale Belastung vom Lager abgefangen werden muss. Viel interessanter ist bei Spulen der geringe Reibungswiderstand in der Lagerung, und dieser sinkt proportional mit geringerer Reibfläche. Extrem kurze handelsübliche Lagerbuchsen (bei einem flüchtigen Blick in den Igus-Onlinekatalog habe ich welche mit der Länge von 1,5 mm bei ID=6 mm und AD=8 mm gesehen) sind für eine Spule nicht wirklich praktikabel, weil der zugehörige Lagersitz im Holz m.E nicht in der Lage ist, eine so kurze Hülse auf Dauer zu halten.
42_Lagerbuchse.jpg
Besser geeignet ist hier eine längere innen abgesetzte Lagerhülse, die nur auf den äußeren 2 bis 3 mm trägt. Hinzu kommt, dass wenn bedingt durch die Unzulänglichkeiten der vereinfachten Eigenfertigung der Lagersitz zu groß geraten ist, fertigt man die Buchse problemlos zu der vorhandenen Bohrung passend. So bohrt z.B. mein 10-er Vierschneider-Fräser im Holz ein Loch von 10,03 bis 10,06 mm, also drehe ich den AD der Lagerhülse passend dazu, und kann sie trotz des „krummen“ Maßes verlässlich einpressen.
Dazu ein kleiner Abstecher zum Messen: Passbohrungen kann man generell nicht mit einer Schieblehre ausreichend genau messen, dafür verwendet man einen Innenmikrometer. Beim Holz kommt noch hinzu, dass die Bohrung bedingt durch das ungleichmäßige Zurückfedern stets elliptisch deformiert ist. Die elastische Nachgiebigkeit ist beim Naturwerkstoff Holz quer zur Faser und längs der Faser so unterschiedlich, dass es stets bei den Messwerten abhängig von der Faserrichtung Unterschiede im Bereich von einigen Hundersteln gibt. Das oben aufgeführte Beispiel ist daher ein realistischer Erfahrungswert, gemessen in einer und derselben Bohrung. Falls man also die Lagerbuchsen schonend mit der Hand einpressen möchte, sollte man mit dem Istmaß am AD der Lagerbuchse zwischen die beiden Messwerte von der Bohrung zielen, mit einer leichten Tendenz zum größeren Messwert. Bei einem echten Übermaß müsste man fürs Einpressen eine Werkstattpresse (oder zur Not auch einen Schraubstock) benutzen, und davor hätte ich bei einer doch schon zierlichen Spule Angst. Lagersitze für größere Kugellager (z.B. für die Schwungradlagerung) sind etwas gänzlich anderes, dort sagen die Erfahrungen, dass ein recht großes Übermaß von 0,03 mm optimal ist.
Aus den o.a. Gründen drehe ich die Lagerbuchsen aus Delrin-Rundmaterial selbst.
43_Lagerbuchse_1.jpg
Ähnlich wie bei Holzrundstäben sind auch Delrin-Rundstangen nie exakt zylindrisch und haben einige Zehntelmillimeter Übermaß. Der AD einer 10-er Rundstange aus Delrin variiert z.B zwischen 10,35 und 10,45 mm, und zudem sind auf der Oberfläche feine Texturen (?Abdrücke von den Vorschubrollen bei der Herstellung?) sichtbar. Daher muss man auch hier erst einmal die bei dem Spulenkern beschriebene Vorgehensweise anwenden, um sowohl für eine exakt zylindrische Form als auch für einen exakt passenden AD zu sorgen.
44_Lagerbuchse_2.jpg
Ich bereite mir auf diese Weise stets eine solche Länge „von der Stange“ vor, damit sie nach dem Abstechen auf der gesamten Länge der Spannzange gespannt werden kann und zusätzlich um die Länge eines Buchsenrohlings aus der Spannzange hinausragt. In eine Mehrbereichspannzange sollte nie nur vorn an der Kante kurz gespannt werden, ansonsten verformt sie sich, und spannt weder achsmittig noch rundlaufend.
45_Lagerbuchse_3.jpg
Das vorgedrehte Stück wird in eine Spannzange gespannt. Bei den o.a. ca. 0,05 mm Übermaß könnte man ihn vielleicht gerade noch in eine 10-er Mehrbereichspannzange hineindrücken, fachmännischer wäre eine 10,5-er Zange auszuwählen. Nach dem Plandrehen der Stirn und dem Zentrieren wird ein um ca. 1 mm kleineres Durchgangsloch gebohrt, als der benötigte spätere ID der Lagerbuchse. Für eine 6 mm Buchse also ca. 5 mm Durchmesser. Obwohl das typische Verlaufen eines Wendelbohrers im Delrin nicht so verheerende Ausmaße hat wie im Holz, ist es sicherer, von beiden Seiten bis ca. zur Mitte zu bohren.
Dieser rohrartige Rohling wird nun mit einem Abstechstahl in mehrere kurze Stücke zerteilt. Die Abstechlänge setzt sich aus der Länge der Buchse, der Stechbreite des Stahls und einer Bearbeitungszugabe zusammen. Beispiel: Buchsenlänge 10,8 mm, Zugabe 0,5 mm und Stechbreite 1 mm ergeben eine Abstechlänge von 12,3 mm. Für zwei Buchsen wäre also die Gesamtlänge von 23,6 mm ausreichend (nein, kein Rechenfehler, das letzte Stück – hier das Zweite – bleibt nach dem Abstechen des Vorletzten quasi übrig). Das abzustechende Stück muss abhängig von der Einspannung des Stechstahls etwas weiter als die Abstechlänge aus der Spannzange herausragen, damit der entsprechende Stahlhalter noch sicher an der Spannzangeneinrichtung vorbei kommt. Damit würde bei dem obigen Beispiel genau die für Mehrbereichspannzangen unzulässige einseitige Einspannung eintreten. Daher muss ich für meine ESX-ER 32 Zangengröße (Zangenlänge ca. 40 mm) das Vielfache an Rohlinglänge vorbereiten, für eine Abstechlänge von 12,3 mm wären es mindestens 48,2 mm (das entspricht 4 Abschnitten), besser 60,5 mm (für 5 Stück). Die überschüssigen kurzen Rohlinge können in der Werkstatt so lange warten, bis die nächste Spule benötigt wird und hergestellt werden muss.
Nach dem Abstechen des ersten Rohlings sollten die Kanten der neuen Planfläche sowohl am AD als auch an der Bohrung entgratet werden. Das mache ich vorzugsweise mit einem aus einer dreikantigen Nadelfeile selbst angeschliffenem Dreikantschaber.
46_Dreikantschaber.JPG
Damit lassen sich alle Werkstoffe außer vielleicht hochfesten harten Stahlsorten bearbeiten, sogar ein freihändiges feines Drechseln von Metallen ist damit möglich. Ich mag dieses Werkzeug so sehr, dass ich mittlerweile an jeder Werkzeugmaschine eines bereitliegen habe, und einige zusätzlich an meiner Werkbank für feinfühlige Nacharbeit.
Danach wird die Spannzange gelöst und von eventuell eingedrungenen Spänen befreit. Das Säubern der Spannzangeneinrichtung sollte man sich übrigens zur Routine nach jedem Ausspannen werden lassen.

(wird fortgesetzt)
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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 16.03.2021, 09:53

47_Lagerbuchse_4.jpg
Nun wird das soeben abgestochene kurze Stück von hinten zur Abstützung in die Zange eingeschoben, von vorn der verbleibende Rest von dem vorgedrehten Rohr. Mit diesem Trick kann man eine Mehrbereichspannzange überlisten, und doch noch ein zu kurzes Werkstück einspannen. Im konkreten Fall kann so das nächste Stück abgestochen werden. Diesen Zyklus (Entgraten – ausspannen – säubern – zwei kurze Stücke einspannen – Abstechen) wiederholt man jetzt für die verbleibende Restlänge.
!!! ACHTUNG !!! – dieser Trick gilt nur für ZWEI Werkstücke und für absolut identische Außendurchmesser. Bereits beim Durchmesserunterschied von 0,04 bis 0,05 mm ist es schon ein Lottospiel, bei dem entweder Ausschuss entstehen oder schlimmstenfalls eines der Werkstücke fliegend die Spannzange verlassen könnte. Im Zweifelsfall sollte das (im Hundertstelbereich!) kleinere Werkstück in der Spannzange vorn eingespannt werden.
48_Lagerbuchse_5.jpg
Als nächstes werden die Rohlinge paarweise so in die Spanzange genommen, dass der Vordere ca. 2 mm herausragt und der Hintere bündig mit der Hinterkante der Zange abschließt. Die Stirn wird plangedreht und die Außenkante sparsam (eine 0,1 mm Fase reicht) gebrochen. Man muss dabei darauf achten, dass von der Längenzugabe noch ca. 0,2 mm für die Endbearbeitung der zweiten Planfläche übrig bleibt. In gleicher Einspannung wird die Freibohrung auf exakte Tiefe gebohrt und die Bohrungskante mit einer 0,1 mm Fase versehen. Bezogen auf ihre Einbaulage in der Spule ist diese Lagerbuchse an ihrem inneren Ende damit fertig.
Den obigen Bearbeitungszyklus wiederholt man jetzt bei dem zweiten Rohling (bitte das Säubern der Zange nicht vergessen), wobei man die soeben aufgebohrte Hülse in die Zange hinten zum Abstützen einsetzt. Beim Umspannen bitte darauf achten, dass sich die Zange nahe ihres hinteren Endes auf das dickwandigere Ende der bereits vorgebohrten Hülse abstützt. Nach meinen Erfahrungen kann es passieren, dass bei unterschiedlichen Wandstärken der beiden gleichzeitig eingespannten Teile der Spanndruck die dünnere Hülse elastisch verformen kann. Das verformt dann auch die Zange, mit allen unerwünschten Konsequenzen.
49_Lagerbuchse_6.jpg
Für die Fertigstellung der äußeren Stirnfläche wird die Hülse wieder ca. 2 mm herausragend in der Spannzange gespannt (paarweise mit Abstützung). Zuvor sollte die individuelle Istlänge der Hülse gemessen werden, und aus dem Vergleich dieser Istlänge mit der Solllänge wird die Spandicke fürs Plandrehen bestimmt. Nach dem Plandrehen der Stirn wird die Außenkante mit ca. 0,1 mm gebrochen.
Die eigentliche Lagerbohrung wird jetzt hergestellt. Dafür sollte man den Spindeldurchmesser, am besten mit einem Außenmikrometer, an mehreren Stellen entlang seiner Länge so exakt wie möglich messen. Üblicher Weise ist die Spindel aus einer kaltgezogenen Rundstange gefertigt, die i.d.R. ein ganz kleines Untermaß hat. An einer 6-er Rundstange misst man meistens Werte von ca. 5,98 bis 5,99 mm. Ist dies der Fall, kann man die 5 mm Vorbohrung zuerst mit einem 5,5-er Fräser und anschließend mit einem 5,8 mm Bohrer aufweiten, mit dem Senker anfasen (ca. 0,4x 45°) und mit einer 6,00-er (6H7) Reibahle aufreiben. In der Praxis wird eine so hergestellte Bohrung etwas größer, vielleicht 6,03 mm. Das wäre im konkreten Fall günstig, denn in Addition mit dem Untermaß der Spindel entsteht eine Lagerluft von 0,04 bis 0,05 mm, die an der Obergrenze des von der Industrie angewandten Richtwerts für Gleitlager von 0,02 bis 0,05 mm liegt. Man sollte nach dem Aufreiben, sofern geometrisch möglich, versuchen die Spindel in die noch eingespannte Lagerbuchse zu stecken und prüfen, ob sie sich dort sowohl widerstandsfrei als auch ohne großes Spiel (Geklapper) drehen kann.
Diese Vorgehensweise habe ich früher mit einer Trefferquote von ca. 80 bis 90% angewendet. Die Restlichen 10 bis 20% entfielen meistens auf Ergebnisse mit viel zu großer Lagerluft (die Reibahle hinterlies eine Bohrung von z.B. 6,05 mm), seltener hat es im eingebautem Zustand leicht geklemmt (bedingt durch die Fertigungsfehler waren wohl die beiden Lagerbuchsen nicht zueinander achsmittig). Mit Ersterem musste ich mich abfinden, Zweiteres konnte ich in Handarbeit mit einer Handreibahle stets korrigieren.
Obwohl die Obige eine übliche Vorgehensweise in einer Hobbywerkstatt ist, und es nie einen ausdrücklichen Ausschuss gab, war ich dennoch damit unzufrieden. Daher drehe ich seit etwa einem Jahr die Lagerbohrungen bis zum Fertigmaß mit einem Inneneckstahl. Dies liefert verlässlichere und im Endeffekt genauere Ergebnisse. Dies erkläre ich mir damit, dass mehrschneidige Bohrwerkzeuge (Bohrer, Fräser) nie eine im Hunderstelbereich exakt runde Bohrung erzeugen. Dadurch variieren die Spandicke und damit auch der Schnittdruck beim Reiben, was winzige radiale Bewegungen der Reibahle erwirkt. Somit arbeitet auch dieses hochpräzise Werkzeug dann ungenau.
Wie auch immer die Lagerbohrung hergestellt wurde, müssen die Bohrungskanten innen wie außen entgratet werden. An der äußeren Bohrungskante kommt noch eine ziemlich wichtige Fase hinzu, mit der man in einem kleinen Ausmaß die Länge der Lauffläche beeinflussen kann. Hauptsächlich besteht die Aufgabe dieser Fase aber darin, später beim Betrieb das Schmieröl in die Lagerfuge einzuleiten und für seine Verteilung zu sorgen.
50_Axialabsatz.JPG
Um den Reibungswiderstand an der Stirnfläche des Lagers zu verringern, wird ihre Fläche reduziert, indem man mit einem Fasenstahl einen Axialabsatz andreht. Bei einem AD der Lagerbuchse von 10 mm, einer Bohrung von 6 mm und einer Fase von ca. 0,3x45° an der Bohrungskante würde ich den nur 0,3 mm hohen Absatz auf dem Durchmesser von 8 mm auslaufen lassen. Somit reduziert sich die Stirnfläche der Lagerhülse auf einen schmalen, theoretisch nur 0,7 mm breiten Ring, dessen Reibung an der benachbarten Fläche (des Wirtels oder des Spinnflügels) sehr gering ist.
Der abschließende Arbeitsgang besteht im Polieren der fertigen Stirnfläche mit Schleifvlies. Da dies bei einer hohen Drehzahl der Maschine geschieht, sollte man es wegen der Erwärmung des Kunststoffteils mit dem Anpressdruck nicht übertreiben (auch um die Spannzangenstirn nicht ungewollt mitzupolieren). Mir ist schon mal ein Drehteil aus Delrin (zum Glück war es nicht eine Lagerhülse) beim Polieren an der Oberfläche verbrannt, es war dadurch unwiederbringlich verdorben, und es stank fürchterlich.
Man kann eine Spule für eine unverbogene exakt runde und leicht untermaßige Spindel auch mit Kugellagern versehen. Früher habe ich dies in Einzelfällen gemacht, mittlerweile habe ich es wieder verworfen. Der wohl einzige Vorteil von Kugellagern für die Spinnpraxis liegt m.E. darin, dass die im Regelfall gekapselten Kugellager ab Werk für Ihre Lebensdauer bereits geschmiert sind, und man braucht sie im Einsatz nicht zu schmieren, das wäre sogar ungünstig. Vom Leichtlauf her sind sie nicht besser als korrekt gefertigte und gut geschmierte Gleitlager, die Variante mit schleifenden Dichtringen (Nachsatz 2RS in der Lagerbezeichnung) ist sogar deutlich schwergängiger. Darüber hinaus gibt es noch weitere Nachteile, die man allerdings umgehen kann, wie Marvin hier beschrieben hat: viewtopic.php?f=14&t=29913&p=512592#p512592
Falls es jemand dennoch probieren möchte, muss darauf geachtet werden, dass die Lagersitze an der Spule mit etwas mehr Untermaß gefertigt werden. Die axial sehr kurzen Kugellager müssen im Lagersitz mit einer echten Presspassung eingebaut werden, sonst könnten sie sich vielleicht beim Betrieb lösen.

8 )Die Endmontage der Spule
besteht nur in dem Einpressen der beiden Lagerhülsen. Wenn alles richtig gemacht wurde, ragen die Lagerhülsen nur um 0,3 mm über die jeweilige Stirn der Spule nach außen hinaus. Um dies sicherzustellen, kontrolliere ich routinemäßig vor dem Einpressen die Lagersitze unter der Lupe, und beseitige ggf. abstehende Holzfasern oder vergessene kleine Späne.
Danach sollte man noch eine Art von Probelauf machen, nur trocken mit den Fingern durchdrehen auf einem geraden Stück kaltgezogener Rundstange oder (besser) direkt in dem zugehörigen Spinnflügel. Angesichts der ganzen Vorkehrungen und der Präzision bei der Fertigung kann man dabei durchaus ein hochpositives Erlebnis erwarten.

Die übliche Frage, ob sich der beschriebene Aufwand auch wirklich lohnt, ist verständlich. Im Sinne des Spruches „Das Bessere ist des Guten Feind“ wird man wohl mit dem vorhandenen Equipment nur so lange zufrieden sein, bis man etwas Besseres kennen lernt. Auch die individuellen Spinnpräferenzen spielen natürlich eine wichtige Rolle. Für meine Frau, die eigentlich zu 100% dünn, schnell und zweifädig spinnt und ebenfalls mit hohen Übersetzungen flügelgebremst zwirnt, ist die Qualität der Spulen sehr wichtig. Zumal es wahrscheinlich schwierig wäre, für ihren spinntechnischen Komfortbereich (Übersetzungen ca. 16:1 bis 18:1 und gleichzeitig eine Spulenkapazität um die 200g) etwas auf dem Markt zu finden, und Spulen mit mehrstufigen Wirteln gibt es – soweit mir bekannt – bis auf wenige Ausnahmen gar nicht zu kaufen.
Auf der anderen Seite braucht jemand, der bevorzugt ein eher dickeres Garn langsam auf einem spulengebremsten Rad spinnen und verzwirnen möchte, nur eine vergleichsweise simple Spule. Und die Laufeigenschaften von Spulen stehen bei niedrigen Drehzahlen auch nicht so sehr im Vordergrund. In diesem Zusammenhang möchte ich auf diesen Beitrag von wollwolf hinweisen, in dem der Bau von gebremsten Spulen mit nachvollziehbaren einfachen Mitteln beschrieben ist: viewtopic.php?f=14&t=26318&p=475919&hilit=Spule#p475919
Generell sollte man sich bei solchen Vergleichen darüber im Klaren sein, dass mehr Qualität stets entweder mit mehr Geld oder mehr Aufwand für eine Eigenleistung erkauft werden muss. Entweder ist das eine „mehr“ das andere „mehr“ es einem wert, oder man lässt es bleiben.

Ich gebe ehrlich zu, dass mich selbst der Umfang der Beschreibung überrascht und auch ein wenig erschreckt hat. Dennoch lasse ich es bewusst so stehen, hauptsächlich aufgrund der enthaltenen Hinweise auf die Eigenarten von der sehr unüblichen Holzbearbeitung auf Werkzeugmaschinen, zu der man auch in den Weiten des www ansonsten kaum etwas finden kann. Mir ist klar, dass dieses Thema nur für sehr wenige hier wirklich interessant ist, doch wollte ich dem einen oder anderen all die Bauchlandungen sparen, die ich in den vergangenen Jahren verdauen musste.

Gruß
Borek
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borekd
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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 16.03.2021, 09:56

Nachtrag:

In der o.a. Beschreibung geht man von einer Spannzangeneinrichtung aus. Sollte diese nicht zur Verfügung stehen, kann sie durch folgende selbstgefertigte Spannmittel ersetzt werden:

a)geschlitzte Spannhülse
51_geschlitzte_Spannhülse.jpg
52_geschlitzte_Spannhülse.jpg
Die Beispielskizze halte ich für selbsterklärend, daher erlaube ich es mir, es bei ihr zu belassen.

b)verlorene Spannzange
53_verlorene_Spannzange.jpg
Ein Stück Rundmaterial (AD ca. um 6 bis 8 mm größer als der gewünschte Spanndurchmesser) wird in Dreibackenfutter gespannt, plangedreht und sein AD so weit durch Längsdrehen reduziert, bis ein ca. um 3 bis 4 mm größeres Maß erreicht ist als der gewünschte Spanndurchmesser. Wichtiger als die Maßhaltigkeit des AD ist eine möglichst glatte und vor allem exakt zylindrische Oberfläche. Ca. 2 bis 3 mm hinter der Schulter wird das vorgedrehte Stück abgestochen oder abgesägt. Jetzt wird das Stück umgedreht und mit der Schulter an den Planflächen der Backen anliegend ins Futter aufgenommen. Das Futter darf jetzt nur mäßig fest (!wichtig!) angezogen werden. Die Spannposition wird z.B. durch einen Körnerschlag auf der Mantelfläche des schmalen Kragens an einer bestimmten Backe markiert (ich markiere bei solchen Hilfsmitteln stets an der Backe Nr. 1).
Nach dem Abplanen der Stirn wird stufenweise bis kurz vor den geplanten Spanndurchmesser (für ein 20-er Spanndurchmesser würde ich ca. bis D=18 bohren) ein Durchgangsloch gebohrt. Die Spanndicken werden mit Berücksichtigung der nur habfesten Einspannung eher zurückhaltend gewählt. Das restliche Material wird mit einem Inneneckstahl in mehreren Spanabnahmen ausgedreht, bis das zu spannende Werkstück in die Bohrung saugend hineinpasst. Nach dem Einschieben des Werkstücks wird das Futter weiter angezogen und das Werkstück dadurch absolut zentrisch und rundlaufend gespannt. Man macht sich hier die Instabilität der Zwischenhülse gegen Druckbelastung zu Nutze, die die stets vorhandenen Ungenauigkeiten des Backenfutters ausgleicht. Zusätzlich ist dies eine Maßnahme gegen Druckstellen von den Futterbacken, was bei weichen Werkstoffen wie Holz ebenfalls sehr wichtig ist. Bedingt durch die eingangs gemachte Markierung kann diese Hilfsbuchse sogar so lange wiederverwendet werden, wie der Verschleißgrad des Futters auf einem vergleichbaren Niveau bleibt.

Beide Hilfsmittel werden am besten aus dem gut zerspanbaren Automatenstahl gedreht, weil Stahl besser federt als z.B. Messing oder Alu.

Obwohl die Spanngenauigkeit dieser Hilfsmittel sehr hochwertig ist, wächst – bedingt durch die Tatsache, dass man für die Fertigung einer Spule viele verschiedene braucht – der Arbeitsaufwand durch ihre Anfertigung beachtlich. Wenn man bedenkt, dass die Kosten für eine solche Spannzangeneinrichtung, wie ich sie benutze, aktuell im m.E. erschwinglichen Bereich ca. um 100,- bis 150,-€ liegen, lohnt sich eine Eigenfertigung von Ersatzspannmitteln wahrscheinlich eher nicht. Zumal man mit industriell gefertigten Spannzangen eine universell einsetzbare gehärtete Qualität erhält, die ein Bastlerleben lang hält.

So, jetzt ist aber wirklich Schluss!

Gruß
Borek
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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von Rolf_McGyver » 16.03.2021, 16:32

Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!
Mit dem geeigneten Werkzeug und den Bedienkenntnissen dir Werkzeuge lassen sich tolle Dinge machen. Ich bin mir sicher, diese Spulen laufen blendend.

LG Rolf

borekd
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Re: Spulen nach dem Lego-Prinzip

Beitrag von borekd » 18.03.2021, 13:03

Rolf_McGyver hat geschrieben:
16.03.2021, 16:32
... Ich bin mir sicher, diese Spulen laufen blendend. ...
Ja Rolf, das tun sie.

Allerdings ist eine so präzise Fertigung mit Sicherheit nicht wirtschaftlich. Ich kann nur schätzen, dass in einer solchen Spule ca. 10 bis 15 Arbeitsstunden stecken. Multpliziert mit dem (an sich hierbei unrealistisch niedrigen) Mindestlohn von 10 EUR/Std ergibt es bereits einen Preis, der niemand bereit wäre für eine Spule zu zahlen. Und das ohne Material- und Nebenkosten und ohne eine Gewinnmarge. In Wirklichkeit wäre eine solche Spule preislich vegleichbar mit einem gebrauchten Spinnrad.

Aber vielleicht ist es auch gut so, weil man dadurch zur Eigeninitiative gezwungen ist.

Gruß
Borek

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