Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Allgemeines zum Thema Spinnen (Spinnfasertypen, geschichtliches, ...)

Moderator: Claudi

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Anna
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Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Anna » 17.04.2019, 22:09

Liebe Spinnerinnen,
ich lese gerade einen Roman, der um 1820 in Westschweden spielt, im bäuerlichen Milieu.
Da ist mehrmals vom Spinnen die Rede. Einmal heißt es:
"Tora strickte an ihrem Fausthandschuh, und Mari spann. Die Spindel surrte, und ihre braunen gekrümmten Finger zogen den dünnsten Faden ohne Knoten heraus.
Unter der schwarzen Winterglocke kauernd hatten sie viele Abende so zusammengesessen. Maris Arme wurden niemals müde, die Kurbel hochzuhalten, aber Tora legte ihr Strickzeug oft in den Schoß ..."

Die "Winterglocke" ist eine poetische Formulierung, die einfach meinen soll, dass die beiden Frauen abends zusammensitzen, wenn es draußen stockfinster ist. In den Breiten, in denen der Roman spielt, ist es im Winter ja sehr lange dunkel.
Irritiert hat mich aber die hochgehaltene Kurbel. Weiß jemand, von welchem Spinngerät da die Rede sein könnte? Es geht übrigens um das Spinnen von Wolle, nicht von Flachs - vermute ich jedenfalls.

Grüße von Anna
(Ich kann seit Monaten überhaupt nicht spinnen wegen mehrerer Fuß-OPs. Genau genommen kann ich seit November nicht richtig laufen und sitze zur Zeit sogar noch für mindestens sechs Wochen im Rollstuhl. :( :krank: )
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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von XScars » 18.04.2019, 09:39

Ein Recherche/Übersetzungsfehler kann es nicht sein?
Ich habe neulich einen Krimi auf deutsch gelesen, der in einer engl. Weberstadt spielt und die Kapitel sind nach Weberbegriffen benannt, mit einer Erklärung drunter. Die waren teilweise sehr haarsträubend und ich hab mir dann das engl. Buch noch gekauft, da waren die Erklärungen sinnvoller.

Ansonsten gäbe es Tischspinnräder, die eine Kurbel haben oder die Maya-Spinner (z.B. hier gezeigt: https://www.youtube.com/watch?v=YIfe-J1VoJ0) Passt aber beides nicht so ganz zu "Kurbel hoch(zu)halten". Historisch kenne ich mich aber nicht wirklich aus.

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Anna » 18.04.2019, 10:12

Hm, ein Übersetzungsfehler könnte natürlich sein; der Übersetzer ist übrigens ein Mann ...
Die Autorin halte ich, was Recherche angeht, für unverdächtig. Immerhin ist sie eine bekannte, mehrfach ausgezeichnete Autorin historischer Romane und hat dem Buch, das ich gelesen habe, ihre eigene Familiengeschichte zugrunde gelegt. Was sie sonst über Wollverarbeitung und Handschuhstricken schreibt, hat immer Hand und Fuß.
Ich könnte mal die Übersetzerin Gabriele Haefs fragen. Die übersetzt häufig aus dem Schwedischen und Norwegischen, auch für den gleichen Verlag und auch Historys. Ich kenne sie von Facebook ... vielleicht fällt ihr etwas dazu ein. Danke jedenfalls.

Grüße von Anna

ps. Mir fällt gerade ein, Mari benutzt ja eine "Spindel", könnte es also eine Fallspindel sein und sie hat die Rohwolle auf diese "Kurbel" aufgewickelt?
Es gibt aber auch ein Spinnrad auf dem Hof, das mehrmals erwähnt wird.
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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Tulipan » 18.04.2019, 10:54

Ich tippe auch auf einen Übersetzungsfehler. Spindel heisst slända, was gleichzeitig Libelle bedeutet. Für Rocken habe ich dies https://sv.m.wikipedia.org/wiki/Rockhuvud gefunden, hat aber alles nichts mit Kurbeln zu tun. Kurbel heisst vev. Vielleicht wurde es ähnlich verfremdet umschrieben wie Winterglocke.
Hier noch ein Spinnfilm aus dem Heimatmuseum Skansen: https://m.youtube.com/watch?v=syhWYtOlzHM6
Ich habe mich eine Zeitlang ausführlich mit historischen Spinntechniken beschäftigt und in allen möglichen Sprachen Bilder und Videos gegoogelt. Etwas Kurbelähnliches ist mir für Skandinavien nicht bekannt. Auch die Mayaspindel wird übrigens ursprünglich für die Seilherstellung benutzt

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von XScars » 18.04.2019, 10:57

Ist halt schwierig was zu übersetzen, wenn man die Vorgänge nicht so richtig versteht.

Früher wurde ja eigentlich immer mit Handspindel und Handwocken gesponnen, ein anderes Wort für Handwocken ist auch "Kunkel". Wenn das jetzt die Übersetzerin benutzt hat, und der Lektor oder das Rechtschreibprogramm hat "Kurbel" draus gemacht (weil keiner das Wort "Kunkel" kennt?) .. den Handwocken hält man ja auch irgendwie hoch?

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Tulipan » 18.04.2019, 11:09

Ich habe noch nach der Übersetzung für Kreisel gesucht. Der heisst schön lautmalerisch snurra, was auch (sich)drehen bedeutet, was wiederum von kurbel(n) nicht weit entfernt ist.

Die Begriffe für Rocken, die ich oben verlinkt habe, haben alle was mit Kopf, Krone, Brett oder Halterung zu tun.

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Asherra » 18.04.2019, 11:23

"hoch halten" vielleicht wie in "hoch in Ehren halten"? Sie räumt ihrer Arbeit Priorität ein, im Gegensatz zur anderen.
Aber wahrscheinlich eher ein Fehler in der Übersetzung, da kommen manchmal sehr seltsame Ideen bei raus.

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Arachnida » 18.04.2019, 11:49

Naja, wenn man "Kurbel" durch "Kunkel" ersetzt macht der Satz m.E. mehr Sinn:

"Maris Arme wurden niemals müde, die Kunkel hochzuhalten, aber Tora legte ihr Strickzeug oft in den Schoß ..."
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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von kjetta » 08.01.2020, 23:26

Ein wenig spät, aber mir ist da was eingefallen. Ob der Übersetzer ein Penis hat oder nicht, spielt doch keine Rolle, hier ist die Rede von spezialisiertem Handwerk...

"lyfta upp" (das steht wahrscheinlich im Original?) muss nicht unbedingt "hochhalten" bedeuten, sondern kan auch "anheben" sein, also nicht stillstehend, sondern eine Bewegung.

Ich denke, wahrscheinlich ist diese Art von Spinnrad gemeint, die Anfang der 1800-er noch weit in Nordeuropa verbreitet war. Pedale hatten die nicht, also musste das Rad von Hand gedreht werden. Die hatten oft eine Kurbel am Rad, für einfachere Bedienung, vorallem im schwedischen digitalen Museum (kringla.nu) findet man viele solche Räder mit Kurbel, wenn man nach "vev" sucht.

Ich denke, das ergibt mehr Sinn, als dass der Übersetzer "Kunkel" nicht richtig schreiben kan (so ein Wort findet man seeehr wahrscheinlich auch nicht im Wörterbuch)...

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Klara » 09.01.2020, 11:04

Ich kenn den Roman nicht und kann auch kein Schwedisch - leider sehe ich nicht mal das verlinkte Foto. Aber ich vermute, darauf ist ein "klassisches" Spindelrad zu sehen, wie sie auch in Frankreich im 2. Weltkrieg noch reichlich benutzt wurden. Und dann erscheint mir Kjettas Erklärung sehr wahrscheinlich und der Übersetzer liegt nur ganz knapp daneben - denn der erste Satz "Die Spindel surrte, und ihre braunen gekrümmten Finger zogen den dünnsten Faden ohne Knoten heraus." passt hervorragend zu so einem Spindelrad. Und der zweite sollte einfach heissen: 3Maris Arme wurden niemals müde, die Kurbel zu drehen...3

Aber weil ein falsches Wort solche Verwirrung stiften kann, deshalb lese ich Bücher im Original, wenn möglich...

Ciao, Klara

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Anna » 18.01.2020, 23:25

Ah, das wäre natürlich eine Erklärung, vielen Dank. Ich habe das Buch eben noch mal herausgesucht. Zum Glück hatte ich mir da, wo die Szene zu lesen ist, ein Eselsohr in die Seite gemacht (mache ich gerne, auch wenn es Buchliebhabern die Schuhe auszieht ...).
Etwas später heißt es allerdings "und Mari legte die Spindel weg", was wohl eher gegen ein Rad spricht, oder?
Es kann natürlich sein, dass der Übersetzer nicht wirklich wusste, was er da beschreibt, und deshalb nach eigenem Gutdünken geschrieben hat, was ihm an sinnvollsten vorkam. Gabriele Haefs, die ich auf Facebook befragt habe, meinte, es könne sich vielleicht um einen regionalen Begriff handeln, der dem Übersetzer nicht bekannt war.

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Klara » 19.01.2020, 12:47

Ja, Spindel weglegen tut man bei einem Spindelrad wohl eher selten... Dann hielt sie vielleicht doch einen Rocken hoch. Oder zog die Spindel immer wieder hoch, denn ich denke, der Rocken ist ziemlich fixiert, siehe unten.

Leicht OT: Ich bekam auf dem letzten Weihnachtsmarkt einen Wollrocken geschenkt (so einen mit Körbchen oben), zufällig in genau der richtigen Länge, damit ich den Stiel unter dem Gürtel in die Jeanstasche stecken konnte. Damit konnte ich gleich ausprobieren und feststellen, dass man damit tatsächlich "ganz anders" und viel leichter spinnt, weil die linke Hand völlig frei ist - viel freier, als wenn die Wolle im Ärmel oder einem Armbändchen steckt (wo ich sie bisher immer hatte).

Wie's im Buch genau gemeint war, werden wir wohl nicht mehr rausfinden - aber eigentlich ist es ja auch egal, so wie ich es verstehe, war Mari eine fleissige Spinnerin während Tora nicht ganz so fleissig gestrickt hat, und ich denke, darauf kommt's an. Oder, Anna?

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Re: Was für ein Spinngerät könnte das sein?

Beitrag von Anna » 19.01.2020, 13:05

Jetzt habe ich richtig Lust bekommen, das Buch mal wieder zu lesen ... (was aber noch etwas warten muss, weil ich in etlichen Leserunden bin).
Es hat jedenfalls ein schönes Bild des Landlebens im 19. Jahrhundert abgegeben. So erinnere ich mich an Szenen, wo die Leute bis Mitternacht gearbeitet und um vier Uhr früh die Arbeit fortgesetzt haben (es war ja fast die ganze Nacht hell). Dafür wurde dann mittags für einige Stunden geruht, wenn es zu heiß zum Arbeiten war.

@ Klara: Tora ist zwar eine gute Strickerin, aber häufig unkonzentriert. Die oben zitierte Szene endet damit, dass sie plötzlich merkt, dass der Handschuh viel zu groß wird, weil sie gedankenlos zu viele Maschen aufgenommen hat. :))

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