Das kleine Lottchen

Selbstbau von Handarbeitsgeräten

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Das kleine Lottchen

Beitrag von borekd » 21.10.2015, 21:15

Das kleine Lottchen ist eine gebremste Lazy Kate, benannt nach einem (damaligen) Skuddenlamm aus unserer Nachbarschaft.
PICT0092_gesamt2.jpg
PICT0093_gesamt3.jpg
Sie wurde auf der Basis des Gestells eines kleinen alten Spinnrades erdacht. Dieses Gestell war ein Bestandteil dessen, was wir uns angewöhnt haben ein Spinnradfriedhof zu nennen – eines großen wild durcheinander gemischten Konvoluts aus mehreren Spinnrädern und ihren Einzelteilen, das wir vor etwa 6 Jahren bei ebay für sehr wenig Geld in unserer unmittelbaren Nähe ersteigert und abgeholt haben. Der Hintergedanke dabei war, dieses Konvolut als einen Organspender für laufende Spinnrad-Restaurierungsprojekte zu nutzen. Mit meinen konventionellen Werkzeugmaschinen kann ich weder Formdrehen bzw. Formfräsen noch sinnvoll Drechseln.

Für den Bau vom „Lottchen“ habe ich eine kleine Ziege mit kaputtem Schwungrad ausgewählt. Das eine fehlende Bein wurde aus dem o.a. Teilehaufen ausgesucht und angepasst. Da die Fläche des Grundbretts von 350mm x 150mm nicht gerade üppig bemessen war und ich trotzdem meiner Frau die Möglichkeit des mehrfachen Zwirnens zur Verfügung stellen wollte, habe ich relativ viel Denkzeit in die nachfolgende Skizze investiert:
Skizze_Grundbrett.jpg
Wie man sieht, gehen die Möglichkeiten theoretisch bis zum sechsfachen Zwirn, von den 6 Spulen dürften vier Stück einen Durchmesser von bis zu 110mm haben (das waren zum damaligen Zeitpunkt die größten Spulen bei uns). Dafür musste die traditionell übliche Steckverbindung der Schwungradkonsolen (der „Hörner“) beibehalten werden, damit ggf. Platz für die 6. Spule geschaffen werden kann.
PICT0096_Konsolen_gesteckt+Splint.jpg
Den ursprünglichen Gedanken auf mehrere einzelne, voneinander unabhängig einstellbare Bremsen musste ich leider aus Platzgründen verwerfen.

Die Dorne für die Aufnahme der Spulen sind aus Edelstahlrundstäben D=6mm bzw. D=5mm. An beiden Enden habe ich entsprechendes Gewinde (M6 bzw. M5) eingeschnitten. Daher habe ich vorher darauf geachtet, dass ich die Materialgüte 1.4305 (gut zerspanbar) kaufe, weil es ansonsten Probleme beim Gewindeschneiden gegeben hätte. Als Bezugsquelle kann ich neben diversen ebay-Händlern auch http://www.wilmsmetall.de empfehlen.

An dem jeweils unteren Ende jeden Rundstabs habe ich selbstgedrehte Rändelmuttern aus Messing aufgeschraubt und mit Epoxydharz festgeklebt.
PICT0109_Dorn_Unterteil.jpg
Das lässt die Möglichkeit offen, die Stäbe werkzeuglos und flexibel so auf dem Grundbrett zu verteilen, wie es das aktuelle Zwirnprojekt gerade erfordert. Wenn ich keine Drehmaschine hätte, würde ich handelsübliche Sechskantmuttern aus Messing nehmen. Die oben aufgeschraubte Messingkugel bzw. die Hutmutter ist ein Kaufteil.
PICT0113_Dorn_Oberteil.jpg
Die Dorne werden in die zuvor in die Grundplatte eingeharzte gekaufte Messingdübel eingeschraubt.

Die Bremse ist mit der von den spulengebremsten Spinnrädern prinzipiell identisch, der Bremsfaden ist aus einer glatten transparenten Angelschnur mit einer am Aufhängepunkt integrierten Spiralfeder.
PICT0099_Bremse_Spannstift.jpg
PICT0100_Bremsaughängung_Spiralfeder.jpg
(wird fortgesetzt)
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borekd
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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von borekd » 21.10.2015, 21:19

Als Garnführung und –trennung habe ich eine Reihe von Bügeln aus einem 2mm-Edelstahl-Schweißdraht in direkt ins Holz gebohrte Löcher gesteckt. Auch die Anordnung der Bügel ist variabel gestaltet je nach dem aktuellen Bedarf.
PICT0101_Führungsbügel.jpg
PICT0104_Fadenführung_Zweifachzwirn.jpg
Lottchen kann nicht nur beim Zwirnen die Spulen einstellbar gebremst halten, sondern (ggf. „auf die Hörner“ gestellt) zum Abhaspeln einer (definiert gebremsten) Spule benutzt werden. Bei uns wird sie zusätzlich als eine Art vom Spulendepot verwendet.

Gruß
Borek
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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von spulenhalter » 21.10.2015, 21:35

Schön geworden, und so zweckmäßig.
Meine Lazy Kate ist aus einem altem Schwungrad entstanden - den Außenring in 2 Hälften, mit gedrechselten Stäben verbunden - Aber es passen "nur" 3 Spulen drauf.
Gruß Mathias

---------------------------------------------------
Unmögliches erledigen wir sofort. Wunder, die dauern etwas länger

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von zwmaus » 22.10.2015, 07:34

Tolle Idee ! So ein Lottchen hätt ich auch gern, gefällt mir wirklich richtig gut. :))
lg
zwmaus

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von shorty » 22.10.2015, 07:38

Klasse Idee.... auch wenn mir der Platz dafür fehlen würde....
Ganz gleich, wie beschwerlich das Gestern war, stets kannst du im Heute von Neuem beginnen.

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von Nobi » 22.10.2015, 09:29

Das kleine Lottchen sieht toll aus und ist sehr praktisch. Ich finde die Details sehr schön.


Viele Grüße

Nobi

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von wollwolff » 22.10.2015, 10:42

Hallo Borek,

schöne Arbeit und ein gutes Beispiel über die Verwendung von ausgemusterten Spinnradteilen, siehe mein letzter Beitrag. http://www.scforum.spinnradclub.de/view ... 14&t=27298

Handwerklich sehr gut gemacht!


Ich hätte aber die Basis aufgrund des starken Wurmbefalles nicht verwendet. Ich bin sicher, dass es mit einem Formreplik der Basis aus
Plexi oder neuem Nussbaum-/ Kirschholz gleichgut aussehen würde.

Hoffentlich wandern die Würmer nicht aus und bilden ein Flüchtlingsproblem in Deinen Möbeln und anderen Spinnrädern.

LG von Jürgen ^..^

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von Claudi » 22.10.2015, 16:20

Ich finde es auch mit Lochmuster ausgesprochen hübsch und sehr praktisch für den Hausgebrauch.
Jetzt muss ich mich nur noch entscheiden zwischen der Turmvariante und deiner Version...platztechnisch wird es wohl erst einmal der Turm. ;)
Ganz
Liebe
Grüßis die Claudi

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von borekd » 23.10.2015, 13:40

...Meine Lazy Kate ist aus einem altem Schwungrad entstanden - den Außenring in 2 Hälften, mit gedrechselten Stäben verbunden - Aber es passen "nur" 3 Spulen drauf. ...
Das sieht bestimmt sehr gut aus - kannst Du bitte ein Foto einstellen? Und mehr als dreifach hat meine Frau auch noch nicht gezwirnt.
...So ein Lottchen hätt ich auch gern...
Es ist recht einfach sowas zu bauen. Man braucht neben einer Bohrmaschine oder ggf. einem Akkuschrauber nur noch Handwerkzeuge. Falls Du Dich mit dem Gewindeschneiden nicht anfreunden kannst, könntest Du die Dorne auch aus Gewindestangen machen (ggf. mit darüber gestülpten Messingrohren) oder glatte Stäbe direkt ins Holz stecken. Letzteres wäre dann eine "Festinstallation", doch das muss nicht unbedingt stören.
.... auch wenn mir der Platz dafür fehlen würde....
Lottchen ist sehr klein, vom Grundriss her etwa so groß wie ein Stuhl. Aber, natürlich, in einer kleineren Wohnung könnte auch das zu viel sein.
... ein gutes Beispiel über die Verwendung von ausgemusterten Spinnradteilen, siehe mein letzter Beitrag. viewtopic.php?f=14&t=27298 ...Ich hätte aber die Basis aufgrund des starken Wurmbefalles nicht verwendet. Ich bin sicher, dass es mit einem Formreplik der Basis aus
Plexi oder neuem Nussbaum-/ Kirschholz gleichgut aussehen würde. ...
Ich musste auch schmunzeln, wie gut sich die beiden Beiträge ergänzen, und das ohne jegliche Absprache.

Für mich ist ein wichtiger Aspekt die Wiederverwendung von bestehenden alten Teilen statt eines kompletten Neubaus. Das empfinde ich als Achtung vor der handwerklichen Leistung eines anderen Menschen, und finde es gerade in der heutigen Wegwerfgesellschaft wichtig.

Rein sachlich betrachtet hast Du aber sicherlich Recht, auch wenn der Wurmbefall nicht mehr aktiv ist. Aber bei aller Achtung denke ich nicht, dass es gleichgut aussehen würde, wenn man die Basis neu machen würde, es wäre anders. Wahrscheinlich auch hübsch, doch den Charme von einem z.B. 100 Jahre alten Stück Holz mit seinen "Lebenserfahrungen" hätte es nicht, das lässt sich wohl kaum nachahmen.

Gruß
Borek

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von wollwolff » 23.10.2015, 15:57

Nun gut lieber Bo..

Ich empfinde aber auch Hochachtung von den alten Handwerkern........... und trotzdem wäre eine moderne Design"prothese" auch eine Achtung
vor unserer Zeit, zumal Du oder ein anderer Handwerker unserer Generation sich ja auch eingebracht hätte.

Mich würde es nicht stören ein Neuteil strahlen zu sehen. Aber das ist rein meine Meinung.

Also gut ist's es wie es ist, hier noch einmal Hochachtung vor der Umsetzung und schönes Wochenende.

LG von Jürgen

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von Nobitzki » 23.10.2015, 18:47

Mal wieder eine tolle Arbeit von dir. :klatsch: Und wieder schön beschrieben.
Ich freue mich über jeden neuen Beitrag von dir, und bin schon gespannt welche Idee als nächstes aus dir raussprudelt.

Liebe Grüße
Norbert

Elianne
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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von Elianne » 24.10.2015, 00:10

Interessante Sache, ich finde Lottchen nett, hätte sie aber bei zu vielen Untermietern lieber thermisch verwertet. Da ich selbst eher pragmatisch veranlagt bin, wäre mir eine solche Spielerei nicht in den Sinn gekommen, es braucht schlicht einiges an Grundfläche und so nett wurmstichiges ausehen mag, ist die Einschätzung der Substanz nicht ganz ohne.

Spannend finde ich den Aspekt der Prothetik, da stellt sich die Frage, warum etwas nachbasteln was nach 100 Jahren aussieht? Erstmal weil es das Romantikzentrum anspricht, das ist nicht gerade sachlich, schafft aber primär Seelenfrieden. Es ist ruhig, vertraut und gut für das innewohnende Gewohnheitstier.

Mein Freund ist körperbehindert und sein linker Arm gelähmt, für gesellschaftliche Anlässe ist er auf eine Orthese angewiesen, damals wurde sie durch einen alteingesessenen Orthopäden gefertigt. Dieser ging dann bankrott und eine neue Generation kluger Orthopäden durfte ein neues Exoskelett bauen, da Carbon ja irgendwie das aktuelle "schwarz" zu sein schien war diese so gefertigt. Witzigerweise nicht wirklich leichter und deutlich starrer als vorhergehende Lederkonstrukte. Dass Krankenkassen lieber neue Orthesen bezahlen als eine Überarbeitung (die wirklich günstiger wäre) ist bemerkenswert.

Die Länge meines Postings ist wohl auch meinem Zorn Krankenkassen ggü. geschuldet, aber es stellt sich eben auch grundsätzlich die Frage ob moderner auch zwingend besser ist. Diese Art der Betrachtung wird m.M.n. zusehends vernachlässigt. Natürlich muss man sich dem Zeitgeist stellen, sonst gehören gleich alle ins Museum, aber auch Verrottung und Verwertung müssen kritisch betrachtet werden.
Don't misunderstand lack of talent for genius...

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Re: Das kleine Lottchen

Beitrag von spulenhalter » 24.10.2015, 22:43

borekd hat geschrieben:
...Meine Lazy Kate ist aus einem altem Schwungrad entstanden - den Außenring in 2 Hälften, mit gedrechselten Stäben verbunden - Aber es passen "nur" 3 Spulen drauf. ...
Das sieht bestimmt sehr gut aus - kannst Du bitte ein Foto einstellen? Und mehr als dreifach hat meine Frau auch noch nicht gezwirnt.
...

Hallo borekd,

gerade habe ich die Lazy Kate in meine Galerie hochgeladen.

Viel Spass beim ansehen.
Gruß Mathias

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