Rayhers Flügelbremsentrecker zieht wieder

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Kattugla
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Rayhers Flügelbremsentrecker zieht wieder

Beitrag von Kattugla » 22.10.2011, 18:46

Ich war heute in Bastellaune. :)

Eigentlich liegt ja im Keller ein kleiner, leiser Nähmaschinenmotor, den ich mir schon an mein ungeliebtes Rayher Klassik gedacht hatte, das war auch der eigentliche Grund, dass ich heute die wuchtige Dame vom Dachboden in den Keller bugsiert hatte.

Ursprünglich war ich von dem Rad alles andere als begeistert, ich hatte es mal für 45,- bei eBay ersteigert und aus Krefeld geholt, wo es vorher scheinbar einem Hobbyhandwerker in die Hände gefallen war, der versucht hat, die mittlerweile überall schlackerigen Zapfenverbindungen mit Baumarktwinkeln und Holzschrauben zu fixieren. Was auch nicht half. Die Dame zog ruppig ein, drohte ständig zu wandern und wackelte wie ein Lämmerschwanz.
Für die, die im Handspinnforum angemeldet sind: hier hatte ich schonmal einen Erfahrungsbericht gepostet...

Nunja, Motor hin oder her, erstmal musste der Stand der Dame stabilisiert weden. Ich drehte sie also auf den Kopf, schraubte die gruseligen Winkel ab und guckte mir an, warum das Rad überhaupt wackelte: klar, alle Zapfen hatten in den Löchern mittlerweile Spiel (das gleiche Problem, das Hummelbrummel mit ihrer Ziege hatte), und die beiden Splinte unter der Grundplatte, die die beiden Hauptpfosten halten sollten, waren nicht mehr da.

Also: zwei neue Splinte aus Buchenholz gemacht (zu den Dimensionen: 8mm!), breite Lederstreifen geschnitten und in die Zapfenlöcher gelegt, drauf geachtet, dass auch ja der Knecht beim Zusammenstecken wieder durch die Grundplatte schaut und: mit sanfter Gewalt und gezielten Hammerschlägen das Ganze wieder zusammengesetzt.
Jetzt hält das Ganze so proppenfest, dass 2012 ruhig kommen kann...

Bild

Nach dem Zusammenstecken hab ich die Lederstreifen mit 'nem scharfen Messer bündig abgeschnitten:

Bild

Die integrierte (und angeblich abnehmbare, lt. Hersteller) Lazy Kate wackelte ja ebenfalls - und war auch nur mit einer Holzschraube notdürftig im Grundpfosten arretiert.
Also habe ich die Schraube herausgedreht, die beiden Bohrungen in Pfosten und Lazy Kate kurz und schmerzlos auf 6mm (Pfosten) bzw. 5mm (Lazy Kate) aufgebohrt und noch einen passenden Splint gedrechselt.
Jetzt ist die Lazy Kate wirklich abnehmbar:

Bild

Tja, da stand es nun, das ungeliebte Rad.
Staubig, mit Macken, aber gangbar, doch irgendwie so traurig, dass ich sowas nicht lange mit angucken kann... also Leinöl und Läppchen hervorgekramt und drauflosgeölt, Feinölspritze geholt und alle Lager abgeschmiert, mit Kerzenwachs das Flügellager präpariert...

Kaum zu glauben, aber "Hilde" lebt wieder:

Bild

Angetestet mit Texelwolle:

Bild

Gleichmässiger Einzug, die Spule eiert etwas (das ist aber auch alles, was eiert) ruhiger, leichter Lauf und sonores leises Klappern - und macht einen schönen, dicken Single.
Was sagt man nun dazu? :rolleyes: :))
Muss man alten Rädern erst mit Motorisierung drohen, damit sie sich zusammennehmen?

Jedenfalls hab ich jetzt 'ne neue Chance, mich mit dem Thema Flügelbremse anzufreunden, und dann wird bei Malottkes bestellt... :))
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Re: Rayhers Flügelbremsentrecker zieht wieder

Beitrag von fischerin » 22.10.2011, 19:03

Super geworden, ich bin ja immer wieder begeistert, wenn die alten Rädchen wieder brav spinnen,

LG Heike

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Re: Rayhers Flügelbremsentrecker zieht wieder

Beitrag von Kattugla » 23.10.2011, 18:44

Da war ja noch ein bisschen was übrig. ;)

Zum einen waren die Haken schon ziemlich rauhgerostet, ausserdem war die Konstruktion der Bremse (einfacher Vierkantlederriemen, der schräg über den Flügeleinzug lief) eher suboptimal und barg noch Reserven.
Zudem bin ich ja so'ne Linksrumspinnerin. Und da sind Haken links und ein ebenso links und aussermittig angebrachtes Einzugsloch am Flügel hinderlich.
Also war ich heute noch ein wenig beim Pimpen. :]

Ich war ja noch halbwegs optimistisch, was das Herausdrehen der Haken anging, musste den Optimismus aber bald begraben, als Haken Nummer eins bis vier beim Herausdrehen schlicht abknackten.
Also: Not zur Tugend gemacht, restliche Haken (auf beiden Seiten) herausgedreht, Löcher mit dunklem Holzkitt verschlossen und kurzerhand beschlossen, dass ich auch gleich die Hakendichte erhöhen könnte.
12 Schraubhaken hatte ich noch, also flugs 12 neue Löcher gebohrt - eine Hälfte zum Linksrumspinnen - und neue Haken eingedreht.

Bild

Die Haken auf der rechten Flügelseite trafen aber nun auf ein aussermittig links angebrachtes Einzugsloch im Flügel.
Aber: wozu hat man Bohrmaschine, Stichsäge und Proxxon? Genau. Jetzt zeigt der Einzug auch zur rechten Flügelseite.

Jetzt gabs noch ein zusätzliches Häkchen in die rechte Seite der (heisst die hier eigentlich auch so???) Mother of all, damit der Bremsriemen darumherum und nicht mehr so schräg über den Flügel zum Knauf läuft, ausserdem ist der Vierkantriemen gegen flaches doppeltes Lederband ausgetauscht und mit einem Filzpolster unterlegt worden.
Mit dem Effekt, dass die Einstellung jetzt deutlich feiner geht und der Widerstand beim Treten auch bei angezogener Bremse noch tolerabel ist.

Bild

Für ein Flügelbremsenrad zieht Hilde nun erstaunlich leicht und unrappelig ein, auch linksrum. :)
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Re: Rayhers Flügelbremsentrecker zieht wieder

Beitrag von waltraudnymphensittich » 23.10.2011, 21:33

Ein schönes Rädchen hast Du da!
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Re: Rayhers Flügelbremsentrecker zieht wieder

Beitrag von Vivilein » 23.10.2011, 22:14

Respekt!
Schaut gut aus, Dein Bastelprojekt....
Viel Spaß dann beim ausprobieren.. :-)

Eines aber interessiert mich dann doch - hat es einen bestimmten Grund, warum du lieber linksrum spinnst oder ist das einfach so?

Sonnengrüße, Ester
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Re: Rayhers Flügelbremsentrecker zieht wieder

Beitrag von Kattugla » 23.10.2011, 22:17

Nö, das hat sich einfach so ergeben. Ich habs mir ja selbst beigebracht.
Ist mittlerweile schon ein Reflex, beim andersrum Spinnen muss ich regelrecht drüber nachdenken... :rolleyes:
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Re: Rayhers Flügelbremsentrecker zieht wieder

Beitrag von Kattugla » 30.10.2011, 20:47

Sooo... die eigentliche Absicht, das alte Rayher wieder hervorzukramen, war ja ursprünglich die Motorisierung, und der Nähmschinenmotor lag ja auch noch im Keller.
Also hab ich mir heut mein frisch erwecktes Rad geschnappt und bin damit aufs Neue in den Keller gewandert.

Gestern hatte ich mir im Baumarkt noch ein 45mm Kantholz geholt (ich weiss jetzt auch, warum die Dinger so heissen, dazu später mehr) und ein armlanges Stück schonmal in die Drechselbank gespannt und einen Zapfen für die Halterung herausgedreht.
Daneben das Motörchen:
Bild

Ziel war ungefähr das hier:
Bild

Da hatte ich schonmal alles, worauf es ankam, zusammengesteckt, -gedübelt und -geschraubt, um zu testen, ob das überhaupt geht. Geht! :))
Der Teufel lauert im Detail.
Spätestens, als ich das armlange und bezapfte Stück Fichtenkantholz etwas verschönern wollte, merkte ich, dass Baumarkt-Nadelholz so ziemlich das Bekloppteste ist, was man sich in die Drechselbank spannen kann. Zwei Kanteln splitterten mir förmlich unter dem Eisen weg (Sch***-Astlöcher!!!) und das letzte hüpfte mir schliesslich auch noch mit angemessenem Sprung passgenau an den Kinnwinkel.
Ich muss mir jetzt noch 'ne krude Geschichte einfallen lassen, wie ich meinen Patienten morgen den hübschen Bluterguss erkläre... :D

Aber so schnell lass ich mir von keinem Holz die Kante geben, Nummero drei schliesslich wurde so ausgewählt, dass da so gut wie keine Äste drinnen waren, gaaaanz vorsichtig gedrechselt - und schliesslich gings.

Bild

Klötzchen für den Motor ausgesägt und aufgedübelt (damit Spulenrille und Antriebsrille in der Flucht sind), Beize geholt und das Stückchen mit dem Fön turbogetrocknet, Leinöl drauf...

Bild

...Motor aufgeschraubt, Lederriemen auf die Rille gelegt - und los gings!

Bild

Der Motor läuft erstaunlich leise (das Spulenklappern ist fast lauter), wie bei 'ner Nähmaschine auch kann ich die Geschwindigkeit über das Fusspedal schön weich regeln und der Anlauf ist ganz sachte.
An der Untersetzung musste ich nix machen, die Antriebsscheibe, die schon auf der Motorwelle war, passt perfekt.
Jaja, ich weiss, die Kabelführung ist eher suboptimal, mich gruselt da auch ein bisschen vor und ich denke noch über eine Art Schutzhaube oder so nach - aber das Ergebnis stellt mich doch deutlich zufrieden. Zumal ich den Pin mit dem Motor dran auch ganz einfach wieder ausstöpseln kann. :D

Bild

Rayher mit Hybridantrieb.... 8)
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