Seite 1 von 1

Technischer Bericht über Überhol - Spinnräder

Verfasst: 06.03.2022, 13:21
von wollwolff
Ihr Lieben!
Unter diesem Thema möchte ich die Besonderheiten von instandzusetzenden Altspinnrädern listen, um denen, die
auch restaurieren möchten, VOR Ihren Demontagearbeiten am Rad, Informationen zu geben.

Die Reihe wird fortgesetzt, hier Bericht 1

Technischer Bericht über Besonderheiten an alten Spinnrädern zur Restauration

Spinnradbericht Nr. 1


Spinnradtyp: Bockrad, eintrittig, spulengebremst
Spinnradalter: Verm. Historismus um 1870
Faserverarbeitung: Verm. nur Flachs, Seide o.ä.
Zustand: Wurmfrei, freie unverkrustete Patina, oxydierter Zierrat
Restaurationsbasis: Sehr gute Grundlage für eine Überholung.

Beschreibung der Besonderheiten
• Spinnmaul:
Filigran gehalten, sehr klein, mit <10 mm Durchmesser
• Spinnwelle:
Geschmiedet, Rechtsgewinde hinter Spinnmaul, Wirtelbereich als Vierkant
• Wirtel:
Fest aufgepresster Wirtel, 2 rillig
• Spule:
Sehr kleine Spule mit ca. 40 mm Durchmeser, ca. 80 mm lang, Lederlager
• Flügel:
U- förmiges Stahl - Schmiedeteil mit Quernuten-Garnführung, mittig Gewinde.
Flügel ist roh mit Flugrost und wird über das Spinnmaul aufgeschraubt.
• Zierrat:
Enden mit Knochenperlen, mit Zinnguss armierte Bande ( Griffe, Anläufe).
Schwungrad ist klassisch mit 6 Speichen, perlenbesetzt, Riemenlauf zinnarmiert
• Spinnlager:
Einsteckbar, mit Holzgewinde befestigt,
Höhenverstellung per Holzgewinde
• Radlagerung:
Stahlkurbel in Holz, nachstellbar mit freien Drucktaschen, Holzgewindeschrauben
IMG_2393.JPG
IMG_2391.JPG
IMG_2390.JPG
IMG_2398.JPG
LG von Jürgen

Re: Technischer Bericht über Überhol - Spinnräder

Verfasst: 06.03.2022, 17:13
von Glaskocher
Das scheint tatsächlich ein würdiger Kandidat zur Überholung zu sein. Es sind ja nur recht geringe Korrosionsspuren und Abnutzungen erkennbar. Bin mal gespannt, wie viel Arbeit tatsächlich investiert werdenn muß, um es zu neuwertiger Funktionalität und einem altersentsprechenden Aussehen zu bringen. Neben der Reinigung der Oberflächen wird die Restaurierung der Gleitflächen wohl die Hauptaufgabe sein, damit das Rad wieder schnurrt wie die zufriedene Katze.

Ein Bild in Totalansicht hätte ich gut gefunden, um einen allgemeinen Überblick zu bekommen. Aber die kann ja noch nachgereicht werden, spätestens als Abschlußdokument.


Mal eine Detailfrage: Eignet sich ein Klarlack, um die gereinigten Oberflächen der Stahlteile dort zu schützen, wo keine Gleitflächen sind? Speziell denke ich dabei an den Flügel und eventuell die Kurbel.

Der Flügelwirtel scheint seine Demontage nicht überstanden zu haben. Da ist jetzt die Frage, ob er geleimt oder rekonstruiert wird. Für das Leimen spricht, daß er nur in zwei Teile gerissen ist und man das Originalteil weiter verwendet. Für die Rekonstruktion spricht, daß man dann ein fehlerfreies Teil einbauen kann, das keine unsichtbaren Anrisse hat. Außerdem kann man bei der Rekonstruktion neben der Kopie noch weitere, in Durchmesser und/oder Werkstoff modifizierte Teile zu testen. Der Originalwirtel hat je drei Rillen, die die Möglichkeit einer optimierten Abstufung bieten.

Beim zinnarmierten Riemenlauf tippe ich darauf, daß er nicht nur zue Zierde eingesetzt wurde. Durch seine recht hohe Dichte kann das Zinn zusätzliches Drehmoment speichern und dem Schwungrad zu einem verbesserten Gleichlauf verhelfen. Ich weiß jetzt nicht, wie die Reibwerte des originalen Riemenmaterials auf (behandeltem) Holz und Zinn sich unterscheiden.

Re: Technischer Bericht über Überhol - Spinnräder

Verfasst: 07.03.2022, 11:12
von wollwolff
Hallo Glaskocher,

danke für die Antwort. Ich habe extra die Gesamtansicht nicht gezeigt, da das Thema nicht die Restauration ist,
sondern nur die beim Zerlegen angetroffenen Besonderheiten dokumentiert, wie im Text angekündet.
Im Fußbereich hatte bereits ein "Schönheitschirurg" gewirkt und irgendwelche Beinchen mit Flanschplatten untergeschraubt,
leider ohne Erfolg, das Rad kippt mit Windzug und die Trittbrücke wurde erst gar nicht eingebaut.

Will zeigen, welche evtl. Stolpersteine im Aufbau stecken.

Die Kundin hat mir die Vollüberholung übertragen und mit hist. herrichten, nur soviel, wie es Sinn macht, ansonsten möchte Sie
damit Spinnen. Ergo wird es eine größere Spule geben, nebst Wirtel, PU Riemen und gleitgelagerte Trittbrücke und Radlagerung, Spulen usw..
Wie der Zinnkranz am Rad sich verhält, werde ich noch feststellen und evtl. durch satinieren o.ä.. Meist reicht ein gründliches reinigen und entfetten.

Das fertige Rad werde ich dann sicher hier noch vorstellen.
LG von Jürgen

Re: Technischer Bericht über Überhol - Spinnräder

Verfasst: 07.03.2022, 20:47
von Glaskocher
OK, da scheint es ja noch mehr Herausforderungen dran zu geben, als man auf den ersten Blick den Teilen ansieht.

Beim Zinnkranz mache ich mir kaum Sorgen, der müßte ausreichend Griff haben, um den Riemen anzutreiben. Wenn man das Metall nicht zu sehr poliert, dann müßte die Patina genug Griff haben. Die größere Spule scheint zum Gebrauch sinnvoll und die überarbeiteten Lager auch. Das Rad ist bei Dir sicher in guten Händen. Bin schon auf das Resultat gespannt.