Alten Spinnflügel reparieren

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Alten Spinnflügel reparieren

Beitrag von wollwolff » 13.06.2011, 20:14

Hallo liebe Spinnfreunde,

ich möchte hier beschreiben, wie ein ca. 80 jahre alter Spinnflügel wieder funktionsgerecht repariert werden kann.
Wenn Ihr das Foto seht, hat der Flügel schon einige Blessuren hinter sich. der Hals ist mit Drahtzwirbel mehrfach auf
der Achse festgesetzt und ein geleimter Basisbruch liegt im Holz vor.
Richtig gut wird hier nur eine Rekonstruktion aus neuem Holz. Trotzdem habe ich nur eine Reparatur gewählt, weil mit
diesem Rad noch gesponnen wird.

Wenn Ihr das erste Bild betrachtet, ist ein Häkchensystem aus gebogenen Eisenstiften und eine rostige Spinnachse erkennbar.
Arbeitsstufen:
A
Die Spinnwelle wird mit dem Daumen und ca. 120 bis 150 Schleifpapier ebtrostet, dann mit Stahlwolle und Polierflies
nachpoliert. Entfetten mit Terpentinlappen oder Spiritur empfielt sich vorher.
B
Die Spinnhäkchen ( die defekte Bestückung wies Lücken auf) müssen rigoros alle mit einem scharfen Elektronikseitenschneider oder Fußnagelschneider abgeknipst werden ( Augen zu ,Schutzbrille aufsetzen oder dabei
Kopf abdrehen). Es hat keinen Zweck, die Häkchen zu ziehen, die haben sich in den Jahrzehnten mit einer Rostschicht im Holz fest verrankert. es wird bei dem geringen Holzquerschnitt der Flügel beim Ziehen diese zerstört.
C
Nun den Flügel in ein Lappenbett in der Hand halten und mit einer scharfen feinen Flachfeile über die abgeknipsten
Hakensitze sauber planfeilen, so dass das reine Holz zu sehen ist und die Althaken silbrig glänzen.
D
Die Teilung der Althaken war 5 mm. Nach dem Versäubern unter C sah ich, daß hier an einigen Stellen schon doppelt
Häkchen gesetzt waren. Ich wählte die neue Teilung mit 12 bis 13 mm aus.
E
Die neuen Schraubhäkchen wurden so klein gewählt, daß eine 4mm Schraube durch die Hakenösen gesteckt werden konnte und der Schaft war 2 mm.
F
Ich bohrte 1,5 mm, linker Flügelarm mit 6mm beginnend, rechter Flügelarm, 12 mm beginnend. So traf ich beim Bohren
fast nie einen Althakenschaft im Holz. Die Bohrung sollte unbedingt ganz durchgehen, ein Sackloch kann den Flügel beim
Eindrehen reißen lassen.
G
Nachdem die Häckchen eingedreht waren, noch die Gegenseite etwas auspolieren, war der Spinnflügel wieder einsatzbereit. Nun kam ich auf die gleiche Spulenteilung wie vorher, indem ich wechselseitig die rechten und linken Haken nacheinander zum Garnführen nutzte ( wegen des internen Versatzes unter F am Anfang).
H
Die Spule war etwas schwergängig, jedoch mit der polierten Achse, etwas Vaseline und einer gereinigten Spulenbohrung ( Gewindestange als Feile geht gut), dreht alles sich wieder, wie es soll.
I
Von einer kosmetischen Behandlung (ölen, wachsen, lackieren) habe ich Abstand genommen, das kann der Spinnradnutzer selber je nach Gusto handhaben.

Seht bitte die Fotos zu disen Beitrag.
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Gruß von Jürgen
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Re: Alten Spinnflügel reparieren

Beitrag von Jutta_Verl » 14.06.2011, 08:28

Vielen Dank, Jürgen, für die schöne Anleitung. Du hast alles so detailliert geschildert, dass sich auch ein Laie an diese Arbeiten machen kann.
LG Jutta

Wer keine Angst hat, sich für seinen Hund zum Affen zu machen, hat auch keine Angst vor fremden Menschen.

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Re: Alten Spinnflügel reparieren

Beitrag von wollwolff » 14.10.2011, 16:03

Hallo Ihr Lieben,

heute möchte ich hierzu ein trauriges und leider oft vorkommendes Thema aufgreifen:"broken wing"!

In einer Mustersendung erhielt ich dies traurige Bild.
Flügelbruch1.jpg
Das es hier bricht, ist eigentlich schon einkonstruiert, weil keiliger Achsensitz längs durch das knappe Holz im U-Bügelgrund geführt wurde. Keine Armierung mit Beschlag oder Muffe oder gesperrtem Holz hindert vor dem Wirken der Keil-Kerbkräfte und der Holzspaltbildung durch Gebrauch, Trocknung und Unachtsamkeit.

(wird noch weitergeschrieben in meiner nächsten Freizeitrunde)



Gruß von Jürgen
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Re: Alten Spinnflügel reparieren

Beitrag von wollwolff » 06.11.2011, 07:38

Hallo Ihr lieben,

Die Spinnflügelrekonstruktion geht weiter! Welch trauriges Bild lag da im Schuhkarton. Meine Rekonstruktionsgedanken kreisten um den Themenkern: unbedingt VERSTÄRKEN, somit folgende, zu solider Überholung führende, Arbeitsschritte.
A
Ein Buchenbrett zugeschnitten auf die Flügelgesamtmasse ( l x b). Dieser Flügel war breiter als länger, die Maserung wies in Richtung Spinn-
achse, also längs. Die Hauptverstärkung sollte am Schwachpunkt Flügelnabe kommen, also sägte ich hochkant am Ende dieser Flügelnabe
beidseitig einen ca. 3 x 28mm Falz.
fl1.jpg
B
Für Thomas und alle Freunde von Wildwesteinspann-Verleimungen.
2 weitere Buchenbrettchen von 5x30 wurden in diese Falz mit Weissleim eingeleimt.
fl2.jpg
Im ersten Schritt, weil es am einfachsten ist ( díe Brettchen rutschen anfangs etwas auf dem Leim), mit Daumendruck in das Schraubstockmaul übergeben und leicht eingespannt.
Danach, wenn Brettchen ausgerichtet sind, die Querzwinge mit Kantholzbeilage und einem Elastik-Streifen ( 3mm Riffelgummi o.ä.) ansetzen und vorziehen. dann erst die beiden oberen und unteren Enden mit Zwingen ansetzen und gegenziehen. Nun zyklisch alle Spannstellen schritt-
weise festziehen bis Blockgefühl.
fl3.jpg
C
Über Nacht so belassen, entspannte ich die Pressvorrichtung und ebnete die Einleimüberstände auf das geometrische kantige Blockmaß als Flügelrohling.
In Achsrichtung kam als erstes die Mittellinie als Anriss, auch über die Stirnkante gezogen. Den Altflügel würgte ich mit einem Kabelbinder am Bruch so fest zusammen, dass hiermit die Kontur als Schablone übertragen werden konnte. Hieran übertrug ich die Flügelkontur.
Hinweis, wer den Altflügel nicht mehr als Ganzes hat, überträgt den halben Flügel auf ein gefaltetes Papierblatt, welches dann ausgeschnitten und aufgeklappt, die Schablone für den ganzen Flügel bildet. Praktisch ist so die Anlage der Knicklinie auf die Mittellinie.
Als weiteren Arbeitsschritt zur Weiterverarbeitung muß nun das Achsloch an der Stirn mit 5 mm vorgebohrt werden.
Hierzu: Genau anreißen und in der Bohrmaschine an einen Winkel gelehnt oder im Maschinenschraubstock eingespannt, dann stimmt die Richtung.
fl4.jpg
D
Jetzt an der Bandsäge die Flügelkontur aussägen und dann zur Drehbank.
fl5.jpg
E
Die Spinnachse war krumm. Hierzu drehte ich als erstes die Spinnmaullagerung leicht über, damit ich einen Bezug fand. Danach spannte ich hier am Spinnmaul ein und richtete das freie Ende. Da die Achsdurchführung als Flachkeil mit den Funktionen SITZ und DREHMITNAHME ausgebildet war, dieser aber den Flügelbruch erzeugte, entschied ich mich für eine spannungsfreie Achsdurchführung.
Hierzu dreht ich den Flachkeil auf D 7 über.
fl6.jpg
F
In das Bohrfutter der Pinole steckte ich nun eine 5 mm Stahlachse, hierauf den ausgesägten Flügel.
fl7.jpg
Diese Formation führte ich nun in das Drehbank- 4-Backenfutter ein, dass 4 diagonale Spannpunkte spannten.
fl8.jpg
Nachdem der 5mm Führungsdorn zurückgezogen wurde, konnte der Flügel frei drehen.

Weiter gehts in der nächsten Freizeitrunde.

LG Jürgen
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Re: Alten Spinnflügel reparieren

Beitrag von wollwolff » 06.11.2011, 16:37

Weiter geht's!
A
Jetzt, wo der Spinnflügel vom Futter gehalten wird, richte ich leicht die Spitzen aus und kontrolliere mit dem Drehstahlkontakt mit halber
Futterdrehung die Zentrierung.
fl9.jpg
Die Digitalanzeige verschafft mir mit 0,01 zu 0,01mm Anzeige ein ruhiges Gewissen. Mit 1/100mm Schlag kann ich ruhig leben.
fl10.jpg
B
Jetzt bohre ich das 5mm Loch mit 6,9 mm auf in ganzer Länge. dann gehe ich noch mit 7mm ca 6 mm tief, um den Achsdurchmesser sauber einzuführen. Diese ging dann mit einem satten Schlurfen durch den Flügel.
fl11.jpg
C
Nun noch etwas Nacharbeit: Konturfeilen mit Feile und mit Schleifpapierunterlage
fl12.jpg
D
Die Flügelspitzen wurden von außen auf konische Enden mit 10 mm Stärke hin, angerissen. Dann die entsprechende Zerspanung bis zum
Anriss am Bandschleifer. Sägen oder Hobeln währe zu gefährlich bei der filigranen Flügelform.
E
An der Tischfräse mit Anlaufring-Radienfräser R 3 mm wurden alle Kanten mit R3 gefräst.
fl13.jpg
F
Feine Nacharbeit mit Feile und Sandpapier sind nun an den Radienübergängen und Branntstellen ( Brandstelle = Dunkelfärbung bei Stop des Vorschubes beim Fräsvorgang), die gefträsten Radien sind in der Regel sauber, nur die Übergänge halt nicht und um die geht's.
fl14.jpg
G
Der Schwabbel in der Bohrmaschine gibt dann den sauberen Ausputz aller Konturübergänge.
fl15.jpg
H
Löcher für die Althaken mußten wegen der Wiederverwendung der MS Häkchen mit 1,5 mm gebohrt werden. Hier wählte ich ein 1,4mm
Loch ca. 10 tief, welches ich dann mit 1,5mm ca. 5 mm tief aufbohrte. Dies hat den Vorteil, dass sich der 1,5 mm dicke Haken ( glatt ohne Gewinde!) zur Hälfte in den 1,4mm Durchmesser einpresst und festsitzt, ohne das Holz zu spalten.
fl16.jpg
Weiter bei der nächsten Sitzung!

LG Jürgen
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Re: Alten Spinnflügel reparieren

Beitrag von wollwolff » 07.11.2011, 11:08

Nun kommt der Endspurt zum Flügelbau.
A
Im Nabenbereich = Sitz der Achse, bohre ich nun ein 2,5 mm Loch, ca 15 mm vom Ende, genau auf der Mittellinie durch das Holz.
Danach stecke ich die schon präparierte Achse durch die Flügelbohrung und bohre dieses Stahlteil durch das 2,5 mm Loch im Flügel an.
Abziehen und Kontrolle, dann die Achse an der Anbohrung quer durchbohren und M3 Gewinde schneiden.
fl17.jpg
B
Hiernach die Flügelbohrung von 2,5 auf 3,5 aufbohren und 90° senken für eine M3 Senkschraube.
Zusammenstecken und verschrauben, fertig!
fl18.jpg
C
Nach dem Einölen der fertige, auf die Achse montierte Flügel.
fl19.jpg
D
Für den Probelauf stecke ich nun alle Teile zusammen, damit nichts schubbert, Probelauf und Abschluß. Alles dreht rund.
fl20.jpg
Viel Spaß beim Betrachten und Inspiration für eigene Rekonstruktionen.

LG Jürgen
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